REUTLINGEN. Klein und zierlich sei sie gewesen, aber von enormer Entschlossenheit. Winni Victor hat die 1980 gestorbene polnische Künstlerin Maria Hiszpanska noch selbst kennengelernt. Nun zeigt sie im Atelier ihres Vaters, des Künstlers Winand Victor (1918–2014), Holzschnitte Hiszpanskas. Die fanden sich im Nachlass ihres Vaters - und das nicht zufällig. Die polnische Grafikerin gehörte zum Freundeskreis Winand Victors.
Alles begann damit, dass Winand Victors Schwester Elisabeth, die in Bremen eine Galerie betrieb, einen deutsch-polnischen Künstleraustausch ankurbelte. Beratend an ihrer Seite ihr Künstler-Bruder. Unter den eingeladenen polnischen Künstlern wiederum war Maria Hispanska. Eine Freundschaft entwickelte sich, Winand Victor porträtierte sie sogar, als drahtig-selbstbewusste Frau mit Zigarette in der Hand.
Polnische Käthe Kollwitz
Das etwa ein Dutzend Holzschnitte führt in die Bilder- und Empfindungswelt einer Künstlerin, die nicht umsonst »die polnische Käthe Kollwitz« genannt wurde. In Warschau aufgewachsen, kam ihr Vater bei der Bombardierung der Stadt durch Nazideutschland gleich zu Beginn des Krieges um. Maria geht mit ihren Brüdern in den Widerstand, wird 1941 von der Gestapo verhaftet, überlebt zwei Jahre im Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück und zwei weitere in Neubrandenburg als Zwangsarbeiterin für einen Rüstungsbetrieb. Kurz vor Kriegsende gelingt ihr die Flucht, als die Nazis das Lager angesichts der nahenden Sowjet-Armee für einen Todesmarsch räumen.
Die Erfahrungen haben sich in sie eingegraben. Sie ihrerseits gräbt sie mit dem Messer ins Material - der Holzschnitt wird ihr bevorzugtes Medium. In hartem Schwarz-Weiß, so unnachgiebig wie die Bedingungen in ihrer Haft, zeigt sie Szenen, die um all das kreisten, was die Nazis ausradieren wollten: Menschlichkeit, Wärme, Hoffnung. Und immer wieder um die Verletzlichkeit des Menschen und der Existenz an sich. In Ravensbrück, erzählt Winni Victor, hätten die anderen inhaftierten Frauen Papierreste gesammelt, damit Hispanszka darauf zeichnen konnte.
Ausstellungsinfo
Die Ausstellung mit Holzschnitten von Maria Hiszpanska wird im Atelier Victor in der Ulrichstraße 5 in Reutlingen am Sonntag, 27. April, um 16 Uhr eröffnet. Nach der Eröffnung kann die Ausstellung bis Ende Mai nach telefonischer Vereinbarung besichtigt werden. (GEA)
07121 479662
In der Ausstellung sieht man eine Mutter, die schützend ihre Arme um ihr Kind legt. Sieht Kinder, deren Blicke fragend ins Weite gerichtet sind. Wird ihnen eine Zukunft beschieden sein? Ein religiöses Gefühl strahlt aus diesen Bildern, die Hoffnung auf eine schützende Macht. Ihre Illustrationen zu »Tristan und Isolde« knüpfen deutlich an die Bildsprache der Gotik und den deutschen Expressionismus an. Das Werk, in der DDR erschienen, bekam einen Preis als bestes Buch.
Noch moderner und gleichzeitig von archaischer Wucht wirken ihre Holzschnitte zur biblischen Jakobsgeschichte. Die Figuren sind mit vibrierenden Linien herausgearbeitet, grell beleuchtet schweben sie vor einem tiefschwarzen Hintergrund. Angst, Not, Trauer, aber auch Liebe und Zuwendung thematisiert sie. Der Mensch erscheint darin erschütternd als ein Geschöpf zwischen Geborgenheit im Miteinander und dem einsamen Sturz ins Bodenlose. (GEA)