LUDWIGSBURG. Das ist wahrlich eine Schneeeule von Format – und eine mit Herz und Verstand: Hedwig, Harry Potters gefiederte Postbotin und Vertraute. Der große US-amerikanische Filmkomponist John Williams hat ihr in seinem »Harry Potter«-Soundtrack eine seiner schönsten, sehnsuchtsvollsten Melodien gewidmet. Für seine Lieblingsgeigenvirtuosin Anne-Sophie Mutter überführte er das Eulen-Leitmotiv später in ein kurzes Konzertstück – in eine geschlossene Form also, die »Hedwig’s Theme« im Fluss der Filmmusik noch nicht gegönnt war.
Im Programm »John Williams – Across the Stars«, mit dem Mutter in Begleitung des exzellenten britischen Royal Philharmonic Orchestra und der energiegeladenen Dirigentin Lina González-Granados derzeit auf Tournee ist und jetzt bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen Station machte, erklangen mehrere solcher in Form gebrachten Blockbuster-Musiknummern Williams’: rein sinfonische etwa aus »Superman«, »E.T.« oder »Star Wars«. Außerdem konzertante Miniaturen, die Williams speziell für Mutter umgearbeitet hat, etwa »Helena’s Theme« aus »Indiana Jones«, »The Duel« aus »Die Abenteuer von Tim und Struppi« oder die traurige Titelmelodie aus »Schindler’s Liste«.
Glitzernde Potter-Glöckchen
Doch die Schneeeule verführte die Ohren der Hörer am unmittelbarsten unterm sommerlichen Abendhimmel im Hof des Residenzschlosses: Glitzernde Potter-Glöckchen leiteten das folkloristisch-mystische Geigenthema ein. Mutter kann unheimlich gut schluchzen auf der Geige. Virtuoses Violingewebe evozierte ganz ohne Film das Bild eines durch die Luft gleitenden Nachtvogels. Die herzergreifende Melodik wurde grundiert durch die Weisheitsklänge tiefer Bläser und durch Hörner als Stimmen des Waldes. Mutter spielte das erstklassig. Leicht schwirrten Läufe und Arpeggien in den Abendhimmel, dazwischen gewitzte Pizzicati und auftrumpfende Akkordik.
In dieser Bearbeitung ist »Hedwig’s Theme« gebaut wie das Finale eines Virtuosenkonzerts der Romantik – inklusive Solokadenz und Schlussstretta. Kein Wunder: Williams, geboren 1932, gehört zu jener Komponistengeneration, die in der Filmindustrie Hollywoods eine Filmmusik-Tradition begründete, deren Wirkkraft dem spätromantischen Sinfoniestil abgelauscht ist. Die Komponisten verleibten sich dabei vor allem das ein, was die Ohren gut verdauen können: süffige Harmonik, einen bombastisch instrumentierten Streichersound mit hohem Fanfaren-Anteil und wagnernder Leitmotivik, eingängige Melodik – und in diesem Fall eben auch den Virtuosenton des 19. Jahrhunderts.
Verstärkung gut ausgesteuert
Im Open-Air-Konzert, dem etwa 3.500 Menschen zuhörten, kam das meiste sehr gut an. Auch weil die elektronische Verstärkung und die Wiedergabe über ein kleinteiliges Boxensystem exzellent ausgesteuert wurde. Aber Mutter wäre nicht Mutter, wenn sie ihrem alten Freund Williams nicht auch mit einem »ernsten« Werk die Reverenz erweisen würde. Sie spielte sein zweites Violinkonzert – 2021 eigens für sie komponiert.
In vier Sätzen und 35 Minuten entfaltet sich eine schier unendliche Geigenmelodie, von Williams mit modernistischer Expressivität aufgeladen – mal sprunghaft-dissonant, mal jazzy oder impressionistisch, dann wieder filmmusikalisch schwelgerisch. Artikuliert sich die Geigenstimme sehr ambitioniert, so besteht die Hauptaufgabe des großbesetzten Orchesters vor allem darin, der Teufelsgeigerin einen schön flauschigen roten Klangteppich auszurollen – samt Klangwolkencrescendi und dramatischen Auftürmungen. Gelegentlich dienen Harfe und Pauken als Duettpartnerinnen.
Lockere Moderation
Interessant, dass der von Mutter sehr expressiv und virtuos umgesetzte Geigenpart das Publikum offenbar überforderte. Der Applaus war überraschend verhalten. Die Stargeigerin, die lockerflockig durchs Programm moderierte, nahm’s mit Humor: »Nachdem Sie sich so tapfer durch das Konzert gekämpft haben«, sagte sie, »gibt’s jetzt zur Belohnung Star Wars.« Lässig! (GEA)