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Aktuell Oratorium

Hochdramatische Interpretation: Bachs »Johannespassion« in Münsingen

Kantorei und Orchester der Martinskirche Münsingen wagen sich mit Bachs »Johannespassion« an ein komplexes Stück Kirchenmusik. Die Anstrengung hat sich gelohnt.

Kantorei und Orchester der Martinskirche Münsingen bei der Aufführung der »Johannespassion«.
Kantorei und Orchester der Martinskirche Münsingen bei der Aufführung der »Johannespassion«. Foto: Elke Kaden
Kantorei und Orchester der Martinskirche Münsingen bei der Aufführung der »Johannespassion«.
Foto: Elke Kaden

MÜNSINGEN. Monate hatten sich Kantorei und Projektchor der Martinskirche Münsingen mit der »Johannespassion« befasst. Kirchenmusikdirektor Stefan Lust wollte sich an das überaus komplexe Werk Johann Sebastian Bachs wagen. Bereits der Eingangschor mit Begleitung des Orchesters ließ die Zuhörergemeinde am Sonntagabend in der bis zum letzten Platz gefüllten Martinskirche aufhorchen. Ein strahlender Chor zu den düsteren Klängen des Orchesters zeichnete bereits die Gegensätzlichkeit der Darstellung der Leidensgeschichte Jesu Christi.

Angefeuert wurden diese Gegensätze durch die großartige Interpretation von Tenor Dennis Marr in der Rolle des Evangelisten. Zum Beispiel, wie er den leugnenden Petrus mit den Worten »und weinete bitterlich« darstellt. Oder wie er mit Ausbrüchen von Wut, Zorn und Spott die Turbachöre motiviert, die das Volk verkörpern, welches Jesus verlacht, »verhöhnt und verspeit«, wie es in der Bibel heißt.

Vielschichtige Ausdeutung

Auch der Chor bildet auf das sensible Dirigat Lusts hin diese Vielschichtigkeit des Textes ab. Wunderbar gelingt die Darstellung des aufgebrachten Volks in den »Turbachören«. Im Gegensatz dazu stehen die Choräle, die wie auch die Arien um die Jesusliebe kreisen.

Die Arien werden begleitet vom Generalbass mit Oswald Hebermehl an der Theorbe, Ulrich Schneider am Cello, Pavel Sturov am Kontrabass, Florian Sontheimer (im ersten Teil) und Philipp Hirrle (im zweiten) an der Orgel sowie jeweils obligaten Instrumenten. So etwa die Arie von Altistin Christine Müller durch die Flöte (Ute Klimmek) oder die anschließende Sopranarie durch Violine (Kathrin-Susanne Lust) und Bratsche (Katharina Waldmann). Sopranistin Ulrike Kristina Härter besticht in ihren Arien mit ihrer ruhigen, hell timbrierten Stimme.

In der Rolle des Jesus

Klaus-Dieter Kübler ist in der Rolle des Jesus mit kürzeren Texten, die die Handlung vorantreiben, befasst. Das Besondere dabei ist die Zuversicht. Man betrachte nur, wie Jesus das zentrale Wort »Es ist vollbracht« in den Zusammenhang der Leidensgeschichte bringt: nicht als Klage, sondern als Bestätigung, dass die Schrift sich erfüllt habe. Zuständig für die Arien und für die Worte des Pilatus war der Baritonsänger Simon Amend.

Diesen Gesamtapparat zu leiten, zur homogenen Klanglichkeit zu führen, den roten Faden der Komposition in Spannung zu halten, das differenzierte Geflecht der Einzelstimmen hervorzuheben oder in den Hintergrund zu verweisen, das ist die große Herausforderung an die Gestaltungskraft des Gesamtleiters Stefan Lust. Diesen hohen Anspruch hielt Lust in bewundernswerter Frische während der gesamten zweieinhalbstündigen Aufführungsdauer.

Zur Einheit verschmolzen

Für ihn entspricht dem beziehungsreichen, tiefen und universalen Ineinander von Bericht, leidenschaftlicher Anteilnahme und frommer Reflexion des Textes die Komposition in ihrer Größe und Differenziertheit. Stefan Lust gestaltet die Gesamtdisposition so bewundernswert wie das Detail; die verschiedenen Ebenen der Deutung sind zu einer Einheit verschmolzen.

Einzelleistungen hervorzuheben, fände man kein Ende. Das homogene Spiel des Orchesters der Martinskirche war immer stilsicher, bewusst unterscheidend zwischen zartem Begleiten und bedeutsamer Melodieführung. Die Gestaltungsidee des Dirigenten zeugt dabei auch von der Mitarbeit seiner Frau Kathrin-Susanne Lust. Das Glockengeläut beendete die tief ergreifende Gestaltung der Geschichte des Leidens Jesu Christi. (GEA)