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Hip-Hop-Hochkultur mit Samy Deluxe

Rapper Samy Deluxe und das Takeover! Ensemble füllten den Hegel-Saal in der Stuttgarter Liederhalle mit ihrem Crossover-Projekt.

Rap trifft Barock-Ensemble: Mikis Takeover! Ensemble flankiert Samy Deluxe.
Rap trifft Barock-Ensemble: Mikis Takeover! Ensemble flankiert Samy Deluxe. Foto: Andreas Fink
Rap trifft Barock-Ensemble: Mikis Takeover! Ensemble flankiert Samy Deluxe.
Foto: Andreas Fink

STUTTGART. »Opernchöre aus'm Ghettoblaster, Trap-Beats in der Kathedrale, Violinspielende Skateboardfahrer, Stripperinnen im Orchestergraben«: Welcher Song wäre besser geeignet, um ein Crossover-Konzert zu eröffnen? In »Requiem« rappt Samy Deluxe virtuos auf einen komplexen Beat im Klassik-Style. Erschienen ist der Song 2019 auf dem Album »Hochkultur«, das einen großen Teil des Materials für ein Projekt lieferte, das am Montag im Hegel-Saal in der Liederhalle über die Bühne ging. »Ihr seid die Ersten, die das ganze Konzert hören«, sagt Samy Deluxe. Das Konzert zum Tour-Auftakt in Stuttgart war ausverkauft, etliche andere, die noch folgen, sind es auch.

Gemeinsam mit Miki Kekenjs Takeover! Ensemble hat die Deutschrap-Ikone aus den 90ern - inzwischen 47-jährig, würdig ergraut, aber immer noch hochgradig cool - seinen Songs ein neues Gewand verpasst. Abendkleid und Smoking statt Baggyhosen und Kapuzenpulli sozusagen. Wobei es in dieser Zusammenarbeit gerade darum geht, eben nicht das eine durch das andere zu ersetzen, sondern beide Welten miteinander zu verbinden, um damit nicht nur stilistische Grenzen, sondern auch Vorurteile zu überwinden. Miki hat die Songs für sein Barock-Ensemble mit Streichquintett und Cembalo arrangiert, Samy hat seine Background-Sängerinnen mit den samtigen Soulstimmen mitgebracht.

Welten treffen aufeinander

Miki, selbst an der ersten Geige im Einsatz, ist spezialisiert auf Pop-Sänger und Rapper, die echte Streicher wollen: Auch mit Curse, Max Herre, Stefanie Heinzmann und anderen hat er schon zusammengearbeitet. Samy Deluxe kann seinerseits auf ein Projekt mit dem Hessischen Rundfunkorchester zurückblicken - 2020, kurz vorm ersten Lockdown. Und tatsächlich ist es ja so, dass Hip-Hop und Klassik gar nicht so weit voneinander entfernt sind, wie man zunächst denken mag: Klassik-Schnipsel werden gerne gesampelt und mit Beats unterlegt, orchestrale Sounds sind der Teppich, auf dem sich Rapper verbal räkeln.

Das Ganze in eine Live-Version zu packen, ist aber nochmal eine andere Nummer. Da muss im entscheidenden Moment alles passen - vor allem das Timing. Und das tut es. Die Maßeinheit fürs Tempo ist im Samy-Deluxe-Kosmos offenbar nicht Beats pro Minute, sondern Wörter pro Minute. Der verbale Output im Maschinengewehr-Stakkato ist hohe Kunst - was Miki und seine Musiker drumherum machen aber auch. Sie stellen etlichen Songs Cembalo-, Geigen- oder Cello-Soli voran - Vorhang auf für Samy, große Oper -, die sich Takt für Takt zum pulsierenden Beat entwickeln. Fürs perkussive Element sorgt nicht nur der gezupfte Kontrabass, Miki nutzt den Korpus seiner Violine auch mal als Schlaginstrument.

Vivaldi-Blitze fürs »Haus am Mehr«

Um das »Haus am Mehr« - Samys Antwort auf Peter Fox' »Haus am See« - lassen die Streicher fiebrige Vivaldi-Blitze züngeln. Was für ein Finale für den ersten Akt. Wie im klassischen Konzert gibt's eine Pause, die der Rapper drollig ansagt: »Wenn's klingelt, müsst ihr alle wieder pünktlich erscheinen.« Für so manchen Besucher - die Fans aus der Rap-Ecke waren gegenüber den Klassikern eindeutig in der Überzahl - war es vielleicht wirklich der erste Besuch in einem Konzertsaal. Samy Deluxe war in seinen 30 Bühnen-Jahren immer mal wieder in Stuttgart, aber noch nie in der Liederhalle: »Früher hat man Rapper nicht in die Hochkultur-Venues reingelassen«, lästert der Mann, der nicht einfach nur ein Programm abspult, sondern - gemeinsam mit Miki - auch viel mit dem Publikum spricht. Es gibt schnodderige Witze und Anekdötchen aus einem Rapper-Leben wie die vom heimlichen Kiffen im New Yorker Hotelzimmer, bei dem die ersten Zeilen zum Song »Zurück zu wir« entstanden und zur Zusammenarbeit mit Max Herre führten, den es an diesem Abend ebenfalls in einer neuen Version zu hören gibt.

Wunderschön, wie sich die Gepflogenheiten der verschiedenen Konzertkulturen vermischen. Das Solo von Miki, mit dem der Song »Poesiealbum« endet, wird euphorisch niedergejubelt, weil die Fans den Schluss nicht abwarten können. Das gäb's im klassischen Konzert nicht. Dass Rap-Fans sitzen, allerdings auch nicht. In der Liederhalle ist das aber so, mit allen Vor- und Nachteilen: Man lauscht der Deluxe-Kunst hoch konzentriert, das Feiern ist aber doch etwas erschwert. Das Bier - und es ist teuer - gibt's nur vorm Konzert oder in der Pause. Das typische »Hände hoch« sieht in dieser Position eher nach Sitztanz im Altersheim aus - das geht so nicht, denken sich die Hip-Hop-Fans und zeigen den Klassikern, wie Standing Ovations wirklich gehen: Zu Samys erstem, inzwischen 25 Jahre alten Hit »Ladies and Gentlemen«, den Miki und sein Ensemble ins cool-elegante Swing-Gewand packen, wogt ein Meer aus erhobenen Händen und nickenden Köpfen durch den Saal. Und der eine oder andere traut sich sogar, die Hookline mitzusingen. (GEA)