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Hinterm Horizont geht’s weiter

STUTTGART. Die Band Silly hat was von einer Katze: ziemlich viele Leben. Im allerersten, anno 1978, startete Silly als kleine Coverband in Ostberlin. In den 1980ern machte die Band um Frontfrau Tamara Danz eigene Musik, erntete Erfolg und Kritiker-Preise. Als etablierte Ostband wurde Silly geliebt von den einen, verschmäht vom Rest. Nach 1989 entwickelte sich Silly zu einer Ex-DDR-Band, die ihr Überleben nach der Wende feierte und dabei mehr als nur Ostalgie verbreiten wollte. Als Sängerin Danz 1996 an Krebs starb, schien alles vorbei. Doch um 2005 begann wieder eines dieser neuen Leben, die Band trat auf, erst mit den alten Sachen und 2010 sogar mit einem neuen Album. Und was kommt als Nächstes? Silly wirbt wieder für ein Album, es heißt »Kopf an Kopf« und könnte entscheiden, wie viele Leben es noch werden.

Das hängt von Anna Loos ab, die seit 2006 das neue Gesicht von Silly ist. Anna Loos, ja genau, diese sympathische Schauspielerin, die mit Publikumsliebling Jan Josef Liefers verheiratet ist. Sie ist auch die Stimme und neuerdings zudem die Botschaft der Silly-Rockveteranen. Weil sie nicht nur mit ihrer rauen Stimme ins Mikro flirtet: »ganz toll, Stuttgart, wir kommen wieder«, sondern weil sie auch die meisten Liedtexte auf dem neuen Album geschrieben hat. Und die sind, nun ja, anders als die alten.

Im Stuttgarter Theaterhaus trat Silly am Dienstagabend im nicht ganz ausverkauften großen Saal vor rund 1 500 Leuten auf, viele von ihnen schon ergraut, auf dem Parkplatz etliche Kennzeichen aus neuen Bundesländern. Alte Freunde also, die machen normal viel mit. Aber bei einigen neuen Songs schüttelten sie sacht den Kopf. Ist das etwa Schlager?

Lied über Waffenexport

Es ist zumindest mehr Pop denn je. Eher eine Handvoll als ‘ne Prise Rosenstolz, manchmal schrappt es an der Grenze zu Pur (»Kinderseelen sind weiches Wachs«). Aber lassen wir die Kirche mal im Dorf: Deutsche Texte zu schreiben ist kein Spaß, auf Englisch kann jeder faseln, was er will. Ist doch aller Ehren wert, dass Silly versucht, eine Band für 2013 zu sein. Samt Seitenhieb aufs Wahljahr. Auch ein Konzert-Höhepunkt stammt vom neuen Album: »Vaterland« handelt vom Waffenexport. »Das Geld verwandelt sich am Horizont in fremdes Blut«, singt Loos und fragt: »Wie lieb’ ich so’n Land? Mit Herz oder Verstand? Blind oder mit Blick über den Rand?« Kein Zufall, dass die Musik mit orientalischen Elementen durchsetzt ist. Und dass eine groß inszenierte, wuchtige Trommel-Szene à la Stomp nach Marschieren oder Schüssen klingt.

Anna Loos hat live manchmal ein bisschen mit der Intonation zu kämpfen, aber das hat Nena ja auch nie geschadet. Zumal Loos es wettmacht mit ihrer coolen rauchigen Stimmlage, ihrer natürlichen Weiblichkeit, mit Temperament und Energie. Sie ist die Richtige dort an diesem Mikrofon. Noch viel richtiger ist, dass die drei fabelhaften Silly-Rocker hinter ihr dabei bleiben, Rüdiger »Ritchie« Barton (Keyboard, Gesang), Uwe Hassbecker (Gitarre, Geige), Hans-Jürgen »Jäcki« Reznicek (E-Bass). Tiptop ist auch die zweite Hälfte der Bühnenband, für die Silly unbegreiflicherweise nur das Etikett »ständige Gastmusiker« vergibt: Reinhard Petereit alias Herr Petereit (Gitarre), Daniel Hassbecker (Keyboard, Cello) und Ronny Dehn (Schlagzeug).

Knappe zwei Stunden inklusive Zugaben hat Silly in Stuttgart gespielt. Die obligatorischen zwei Drittel des neuen Albums – vor allem die Liebeserklärung »Deine Stärken« singen die Fans schon mit. Dazwischen gab es Hits von 2010 und etliche alte Sachen, die inbrünstig gefeiert wurden: »Bye Bye«, »Asyl im Paradies«, die Berliner Spezialität »Mont Klamott« und auch »Wo bist du«. Silly, alt und neu, sah mal wieder quicklebendig aus. (GEA)