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Aktuell Musica Antiqua

Hinrichtung per Hammerflügel

REUTLINGEN. Am 16. Oktober 1793 starb Marie Antoinette und wurde zugleich unsterblich: Die französischen Revolutionäre ließen ihre Königin enthaupten, und der Nachwelt blieben reichlich unsympathische (und unwahre) Zitate wie dieses: »Das Volk hat kein Brot? Dann soll es doch Kuchen essen!« Mit dem musikalisch-literarischen Programm »Marie Antoinette: Süßes Leben - bitt're Reu'« fügte die Reihe Musica Antiqua diesem Bild einige neue Facetten hinzu. Bei der Sonntagsmatinee im gut halb vollen Spitalhofsaal spielte Urte Lucht auf einem Hammerflügel Musik aus der Zeit und den beiden wichtigen Ländern Marie Antoinettes, aus Frankreich und Österreich. Stefan Mester in historischem Kostüm las Briefwechsel der jungen Königin mit ihrer Mutter Maria Theresia vor, baute Schilderungen von Zeitgenossen ein und versäumte es auch nicht, mit seinem augenzwinkernd französischen Akzent als höfischer Insider zu tratschen und zu sticheln.

Das Herzstück des knapp zweistündigen Programms stand am Schluss: »La mort de Marie Antoinette, une Musique Allegorique« veröffentlichte der böhmische Komponist Johann Ladislaus Dussek wenige Wochen nach der Hinrichtung. Eine beachtliche kleine Programmmusik, welche die Gemütszustände dieser Königin im Ausnahmezustand nachempfindet - ihre dramatische Einkerkerung, pompöse Erinnerungen, dann, als man sie von ihren Kindern trennt, Panik und Resignation. Vor dem Weg zum Schafott macht sie Angstzustände durch, aber sie richtet sich wieder auf, während der Pöbel rast. Für die Enthauptung hat Dussek ein hartes Glissando über die komplette Klaviatur komponiert.

Verklemmtheit des Gatten

Eine gute Idee von Lucht und Mester, dieses Werk auf die Bühne gebracht zu haben. Und fast noch besser die Idee, es in einen solchen Kontext zu setzen, wie sie es getan haben: Sie zeichneten den Weg der Habsburgerin nach, die das 15. und letzte Kind der Wiener Regentin war. Mit gerade mal 14 Jahren wurde Marie Antoinette mit dem französischen Thronerben verheiratet. Am strengen französischen Hof »hatte sich nichts zu tun als anzuecken«, erfuhren die Matinee-Besucher und entwickelten zusehends Verständnis für die liberaler sozialisierte junge Frau, der man lange Kinderlosigkeit vorwarf. Dabei sei Letztere, plauderte Mester aus, viel eher der Verklemmtheit und sexuellen Ahnungslosigkeit des Gatten zuzuschreiben gewesen.

In den Texten ging es um Frisuren, Kleider und - endlich - auch um geeignete Vorsichtsmaßnahmen bei der königlichen Schwangerschaft. Illustriert wurde dies mit kurzen musikalischen Einwürfen. Neben Dussek kamen auch Jean-Baptiste Krumpholtz, Christoph Willibald Gluck, Antonio Salieri und Wolfgang Amadeus Mozart zum Zuge - viel Hübsches, auch wenn Pianistin Lucht bei genauerem Hinhören nicht alle Passagen gleichermaßen souverän beherrschte. Und obwohl die Saaltemperatur primär auf den Flügel abgestimmt war und immer mehr Zuhörer sich in Mäntel hüllten, war das empfindliche Instrument gegen Ende des Konzerts nicht mehr sauber gestimmt. Den Genuss der unterhaltsamen Zusammenstellung konnte das nicht trüben. (GEA)