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Herbie Hancock und Jakob Manz im Innenhof des Alten Schlosses Stuttgart

Mit Herbie Hancock gastierte ein Altmeister des Fusion-Jazz erneut bei den Jazzopen im Stuttgarter Alten Schloss. Wie die Zukunft klingt, konnte man zuvor beim Jakob Manz Project hören.

Der Großmeister gewährt Audienz: Herbie Hancock bei den Jazzopen im Innenhof des Alten Schlosses.
Der Großmeister gewährt Audienz: Herbie Hancock bei den Jazzopen im Innenhof des Alten Schlosses. Foto: Reiner Pfisterer
Der Großmeister gewährt Audienz: Herbie Hancock bei den Jazzopen im Innenhof des Alten Schlosses.
Foto: Reiner Pfisterer

STUTTGART. Ideale Open-Air-Bedingungen herrschen an Tag vier der diesjährigen Jazzopen: Ein moderat eingetrübter Abendhimmel wölbt sich über dem Alten Schloss in Stuttgart, das mit seinem Renaissancearkaden-Innenhof zu den schönsten Freilichtbühnen der Landeshauptstadt zählt. Man habe einen »Claim«, also einen Anspruch, erklärt Jazzopen-Leiter Jürgen Schlensog um kurz nach halb neun den neuen Festival-Untertitel »Where the legends live«.

In der Tat: Herbert Jeffrey Hancock, den alle Welt Herbie nennt, darf durchaus als lebende Legende gelten. Im zweiten Quintett von Miles Davis wurde der Pianist zum Kronzeugen der Elektrifizierung des Jazz; mit Alben wie »Sextant« (1972) oder »Head Hunters« (1973) setzte er Fusion-Meilensteine als Leader eigener Formationen. Zwei seiner 14 Grammys erhielt er 2008 für die Joni-Mitchell-Hommage »River: The Joni Letters«. Bei den Jazzopen ist Hancock seit Jahren gern gesehener Gast, bereits zum dritten Mal tritt er nun im Alten Schloss auf.

Entspannter Superstar

»Good evening, Stuttgart!« Der 85-jährige macht von Anfang an einen gelösten Eindruck, versichert sich erstmal, ob auch die Besucher ihrerseits »relaxed« sind und begrüßt winkend die Gäste in den Business-Logen. Fast, als wolle er seinen Legenden-Status selbst karikieren, spielt Hancock, nachdem er eine »Ouverture« angekündigt hat, auf seinem »Kronos«-Korg-Synthesizer herum, dem er Geräusche »seltsamer Kreaturen und prähistorischer Raubtiere« entlockt: »Oh, das war ein Großer!«

Terrance Blanchard (Trompete), Lionel Loueke (Gitarre), James Genus (Bass) und Jaylen Petinaud (Schlagzeug) zaubern eine diesem »Jurassic Park«-Intro angemessene sphärische Klanglandschaft. Dann etablieren sie milden Fusion-Funk, der sich duftig in der sanften Abendbrise verströmt. Alle erhalten in diesem ausgedehnten Präludium solistischen Freiraum, den jeder auf seine Art zu nutzen weiß. Hancock wechselt bald zum Fazioli-Flügel; ausgesprochen agil wirken seine polyrhythmischen Improvisationen, energiegeladen sein Anschlag, wie Fontänen schießen die Schlussakkorde auf.

Hommage an Wayne Shorter

Als Verbeugung vor seinem »besten Freund« Wayne Shorter, der 2023 gestorben ist (Hancock: »Er ist immer noch bei uns – ich spüre das jeden Tag«), folgt »Footprints«, arrangiert von Blanchard, der hier häufig Themen vorstellt und Leadpassagen übernimmt. Hancock tönt seinen Klavierpart in hellen Farbwerten, Loueke steuert auf seinem siebensaitigen Instrument Windharfen-Blueslicks bei. Gregory Porter, der am Folgetag auf dieser Bühne stehen wird, verfolgt den Auftritt mit seiner Band vom Business-Logenbereich aus. In »Actual Proof« kontrastiert Hancock elektronische und akustische Klänge in harten Schnitten, ruckt zwischen Kronos und Fazioli hin und her. Loueke lädt zu einer pentatonischen Klangreise ein, in der man wie rückwärts durch die Zeit zu fallen scheint.

Die Dämmerung bricht an, die Arkaden-Illumination setzt ein, »Butterfly« schwebt vorüber. Einen »buddhistischen Sermon« schickt Hancock durch den Vocoder: »There is only one family – Es gibt nur eine Familie.« Das kontemplative Bass-Solo von Genus in »Secret Sauce« markiert den luzidesten Moment des Sets, bevor Hancock zum Umhänge-Keyboard greift und mit einem Medley (»Hang Up Your Hang Ups«, »Rockit«, »Spider«) und »Chameleon« das Finale einläutet.

Jungstar mit Nonett

Dass dem Jakob Manz Project Extended zuvor deutlich mehr Spielzeit eingeräumt wurde als einer reinen Vorgruppe, geht absolut in Ordnung. Was Hancock von Miles Davis übernommen hat, ist die Interpretation der Rolle des Bandleaders als Katalysator. Eine Funktion, die über die Aufgabe des Komponisten hinausgeht und hierzulande in den vergangenen Jahren zunehmend der in Dettingen an der Erms aufgewachsene Altsaxofonist Jakob Manz übernommen hat. In der Extended-Variante ergänzen der Trompeter Jakob Bänsch (noch ein Rising-Star aus der Region), die britische Tenorsaxofonistin Emma Rawicz und der französische Posaunen-Genius Robinson Khoury die handverlesene Senkrechtstarter-Combo zum Nonett.

Damit keine Missverständnisse aufkommen: Das Rad neu erfunden wird auch bei Jakob Manz nicht. Aber wie leichtgängig, schwungvoll, drehfreudig, laufruhig, achsstabil dieser frische, unbekümmerte, immer dem Groove verpflichtete Modern Jazz dahinrollt, kann nur schiere Begeisterung auslösen – so klingt die Zukunft! (GEA)