TÜBINGEN. Lange Zeit war unsicher, ob Helge Schneider nochmals auf Tour gehen würde. In einem Facebook-Video betonte der 65-Jährige: »Ich trete nicht auf vor Autos. Ich kann in Rente – wenn das so weitergeht, dann war’s das.«
Wenig später ist sein Lockdown-Frust wie weggeblasen: Im August 2020 erschien sein Album »Mama«, Releasedatum für sein neuestes Machwerk »Die Reaktion – The Last Jazz, Vol. II« ist am 16. Juli 2021. Beim »Tanks Giving«-Festival bekam das Publikum in Tübingen in der ausverkauften Panzerhalle am Samstag vorab eine Livekostprobe.
Wie schon bei der ersten Show Mitte Juni in Trier wurden nur 500 Zuschauer zugelassen – arg viel mehr passen aber auch nicht unters Dach der Freilufthalle im Französischen Viertel. Eng ist es ebenfalls auf der Bühne: Eine beachtliche Anzahl von (teilweise historischen) Musikinstrumenten ist aufgebaut. Helge Schneider, gewandet in einen fliederfarbenen Anzug, Hut und Sonnenbrille, spielt sich zu Beginn des Auftritts erst mal am Flügel warm.
»Plötzlich ein Knall – ich hatte die Schallmauer durchbrochen!«
Auffällig: Neben seinem Gitarristen Sandro Giampetro sitzt ein Kind hinter dem Schlagzeug. Ein Kind? Ja, Charles Schneider, elf Jahre jung – seit 2020 begleitet er den Vater auf seiner Tour unter dem Künstlernamen »Charly – the Flash«. Zu Charlys Geburt vor elf Jahren hatte Helge Schneider auf seiner Homepage verkündet: »Ich hatte sowieso noch ein paar Schlagzeugstöcke übrig, vielleicht kann er die gebrauchen, aber erst soll er schwimmen lernen.«
Sein beeindruckendes Können stellt der Junior gleich bei den ersten Nummern des Abends »Heute hab ich gute Laune« (beswingt-groovig) und »Der Pabst« (getragen jazzlastig) unter Beweis. Die familiäre Atmosphäre ergänzt Tee-Koch Bodo, der eingefleischten Fans schon lange ans Herz gewachsen ist und den Meister (»Ich bin bekennender Teeist«) flugs mit seinem Lieblingsgetränk versorgt.
Der Titelsong »Mama« von Schneiders letztem Album kommt sehr bluesig daher, mit liebevollem Nonsense-Text: »Ich lebte mein Leben als Ballon, auf dem Balkon, ohne Pardon, mit kurzer Fasson – lebte mein Leben als Knäckebrot, und als ich starb, da war ich tot.«
Der Song »Der müde Reiter« hat den alten Western-Twang im Klipp-Klopp-Style, den man noch von alten Texas-Zeiten kennt. Und natürlich fehlt im Repertoire an diesem Abend auch nicht der wohl bekannteste Hit »Katzenklo«, der von Bodo vorgetragen wird, während Schneider ihm begleitend ins Ohr trompetet. Eine Pause gibt es wegen Corona nicht – »Corona ist nicht immer lustich«, lässt das Instrumentalgenie wissen.
Bei »Liebe im Sechsachtel-Takt« glänzt Gitarrist Sandro Giampetro mit einem temporeichen Boogie-Woogie-Solo, dann geht es wieder in einen getragenen Rhythmus über bei »Der Boss«. Helge wechselt virtuos vom Flügel zur Hammond-Orgel, von der Akustik- zur E-Gitarre, zur Trompete und bläst gefühlvoll das Saxofon. Die Melodien sind geradlinig und laden zum mitswingen ein, es bleibt aber auch genug Raum für jazzlastige Verspieltheit. Die ist sehr ausgeprägt in »The Tadd Walk« – ein schönes Vater-Sohn-Stück. »Mann ohne Gesicht« gefällt als purer Akustik-Gitarren-Blues.
»Bergab könnte ich mir eine Teilnahme an der Tour de France vorstellen«
Reine Musikauftritte findet man bei einem Helge Schneider nicht. Zwischen den Stücken plaudert er, zum Beispiel über seine Erfahrung beim Nordic Walking: »Es ist eine gefährliche Sportart, weil man hat die Hände nicht frei«. Und »plötzlich ein lauter Knall – ich hatte die Schallmauer durchbrochen. Leider war niemand da, der es bestätigen konnte«. Oder über die Tour de France: »Ich könnte mir eine Teilnahme vorstellen. Auf jeden Fall Berg runter – hoch nur mit E-Bike.«
Herrlich schräg auch seine Sprech- und Toncollage über das »ayurvedische Massagezentrum Lotusblüte« in Paderborn: »Schmieren sie sich das Zeug auch mal an den Hals! Jojobaöl direkt vom Baum, mit Butter verfeinert«, rezitiert er zu sphärischen Klängen die er einem »Dingsbums aus Düsseldorf« (eine Art Glockenspiel) entlockt.
Nach gut 90 Minuten und einer Zugabe ist Schluss. »Es war schön mit euch, soll mich doch der Teufel holen«, schnarrt Schneider ins Mikro – dieser erscheint prompt im roten Lackkostüm und führt ihn von der Bühne. Helge Schneider macht nicht den Eindruck, bald in den Ruhestand zu gehen. (GEA)