STUTTGART. Wer Hirn und Seele dazu einladen will, einen Abend lang wie quietschbunte Einhörner durch weite, surreale Landschaften zu traben, kann sich dazu allerhand Substanzen bedienen. Oder ein Ticket für Helge Schneider erwerben. Der 69-Jährige tourt wieder durch die Lande und war am Mittwoch in der Stuttgarter Liederhalle. Gute zwei Stunden nahm er einen mit in ein Land, in dem die Instrumente zahlreich sind, Musik und Musiker hervorragend und Wahrheiten elastisch.
»Ein Mann und seine Musik« heißt die Tour, und schon das stimmt eigentlich nicht, denn es sind vier Männer auf der Bühne, keiner verzichtbar. Sandro Giampietro an der Gitarre ist der Jüngste, spielte in einem anderen Leben in Wacken und kann angeblich kein Deutsch. Dafür zupft und tupft er zu Schneiders Arrangements Wohldosiertes hinzu. Der 74-jährige Willy Ketzer handhabt das Schlagzeug wie ein wahrer Connaisseur. Und mit Bassist Reinhard Glöder, 80, sitzt noch so ein Elder Statesman des Jazz in der Runde. Tatsächlich ist sie der Star des Abends: die saugut gemachte, jazzende, swingende, zitierende, augenzwinkernde Musik.
Faxen mit Äffchen
Ja gut, auf Helge Schneider hätte man auch ungern verzichtet. »Könnt ihr noch?«, ruft er um 20.06 Uhr nach dem ersten Stück in die Halle. »Hörgeräte alle eingeschaltet?« Für ewig ins Gedächtnis gebrannt bleibt die Szene, wie er mit einer Äffchen-Handpuppe über der rechten Hand die Trompete spielt und das Äffchen immer, wenn es grad ventilmäßig nix zu tun hat, Faxen macht.
Sopran- und Bariton-Saxofon, Metallofon, Orgel, Mandoline, Akkordeon, Gitarre mit und ohne Strom, Trompete, Synthesizer, Klavier: So ein Helge Schneider hat viel zu tun an einem Abend. Er legt, stets die Hose des blauen Anzugs hochziehend, allerhand Wege durch seinen Instrumentenparcours zurück. Zwischendurch entschlüpft ihm eine Gesangsstimme, die man auch unironisch zu Geld hätte machen können, auf Märkten zwischen Chanson und Schlager.
Geklimperte Träumerei
Er unterhält sich und den gut gefüllten Beethovensaal mit verworrenen Schnurren. Über seine große Chance, als er mit 19 Jahren die Musik für einen Porno schreiben durfte, einen Strichmännchen-Porno. Über Existenzialismus auch im Kühlschrank. Über verkohlte Toasts und halbrohe Spiegeleier, die ihm Frank Sinatras nette Gattin mal servierte. Über Chris de Burgh, der ihm einen Hotelpool wegschnappte. Über die aktuelle Lebenserwartung des Papstes. Und über PrivatpatientInnen (mit dramatisch überbetontem Binnen-I), die im Krankenhaus innen von den ÄrztInnen betreut werden. – Gendern findet er bekanntlich bescheuert.
Der Buttersong war dabei: Hast du eine Mutter, dann hast du immer Butter. »Die Herren Politiker« sind alle doof. Hat er vor Jahrzehnten geschrieben, sei immer noch gültig. »Reitunterricht« heißt ein Lied mit der schönen Zeile »Ich war Pferdeflüsterer und flüsterte gerade«. Eine kurze Pause gab‘s und um Viertel nach zehn eine einzige Zugabe: Saallicht schon eingeschaltet, Schneider solo, als Stevie-Wonder-Lookalike am Piano eine letzte Träumerei daherklimpernd. Schon alles sehr schön! (GEA)