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HAP-Grieshaber-Austellung in Reutlingen: Hymnen an die Überwindung des Trennenden

Das Kunstmuseum Reutlingen zeigt im Spendhaus Liebespaare als Motiv bei HAP Grieshaber

Kuratorin Anna Nerobova vor einem Farbholzschnitt Grieshabers
Farbstarke Anrufung der Zweisamkeit: Kuratorin Anna Nerobova vor einem Farbholzschnitt Grieshabers aus seiner Serie zu Carl Orffs Vertonung der mittelalterlichen Vagantenliedersammlung »Carmina burana«. FOTO: KNAUER
Farbstarke Anrufung der Zweisamkeit: Kuratorin Anna Nerobova vor einem Farbholzschnitt Grieshabers aus seiner Serie zu Carl Orffs Vertonung der mittelalterlichen Vagantenliedersammlung »Carmina burana«. FOTO: KNAUER

REUTLINGEN. Da war zuletzt schon etwas Ungeduld zu spüren in der Grieshaber-Gemeinde, das Kunstmuseum würde seine große Gründergestalt vernachlässigen. Hatte man doch die Grieshaber-Etage zugunsten der Besucher-Lounge »Baumhaus« aufgegeben, Einzelausstellungen zu ihm gab es zuletzt nicht. Fairerweise muss man aber erwähnen, dass Grieshaber in der »Baumhaus«-Lounge präsent ist, auch in verschiedenen Ausstellungen immer wieder Bezugspunkt war.

Nun bekommt er jedoch wieder eine Etage für sich, zumindest bis 25. September, in Form einer thematischen Sonderschau. Thema: Liebespaare als Motiv in Grieshabers Schaffen. »Was, das hatten wir noch nicht?«, soll Museumsleiterin Ina Dinter überrascht gerufen haben, als Kunstmuseums-Volontärin Anna Nerobova mit dem Vorschlag ankam.

Nein, zumindest in den letzten Jahren gab’s dazu nichts. Dabei gibt es kaum ein Motiv, das sich so obsessiv durch Grieshabers Schaffen zieht, wie die erotische Begegnung von Mann und Frau. Wie sich solche Begegnungen, Leidenschaften, euphorischen Liebeshöhenflüge ja auch durch sein Leben zogen, sich ablösend, sich teils auch überlappend, von Lena Krieg über Riccarda Gregor-Grieshaber und Margarete Hannsmann bis hin zu der Ulmer Bühnenbildnerin Jutta Lüttke, Gefährtin seiner letzten Lebensjahre. Weitgehend chronologisch ziehen sich die Liebespaare nun im Uhrzeigersinn um die Wände, von den zarten, pastellschimmernden Blättern der 1930er-Jahre über die kraftvoll-opulenten Motive der »Baumblüte« bis hin zu den letzten Holzschnitten vor seinem Tod 1981. Da breitet sich die Liebe noch einmal wie ein paar feuriger Engelsflügel um das Paar, begleitet von einer Gedichtzeile Paul Konrad Kurz’: »Die Liebe ist ein Hemd aus Feuer.« Ein Satz, den Kurz wiederum von dem türkischen Dichter Nâzim Hikmet (1902-1963) übernommen hat. Das Feuer der Liebe, es umgab Grieshaber bis zuletzt.

Anna Nerobova hat die Motive zusammengestellt und erläutert sie beim Presserundgang. Sie weist darauf hin, wie sich früh Naturmotive zu den Liebespaaren gesellen, Pflanzen, bald auch Tiere. Wie die Liebenden und die Landschaft immer mehr eins werden, wie Mensch und Natur in der liebenden Umarmung verschmelzen – auf diese zentrale Geste des Umarmens weist der stellvertretende Kunstmuseumsleiter Rainer Lawicki hin.

Scheidung und Standesamt

Zuweilen mischt sich in die Blätter Privates: Die Scheidung von Lena Krieg 1952 packt Grieshaber in einen wuchtigen Holzschnitt, auf dem sich grelles Weiß wie ein Keil zwischen Mann und Frau schiebt. Ein anderes Blatt verweist auf die standesamtliche Eheschließung mit seiner zweiten Frau Riccarda Gohr – da wirken die Figuren noch scheu und distanziert. Fast immer aber ist die Liebe bei dem großen Utopiker und politischen Künstler Grieshaber mehr als privates Glück. Ist Aufbruch in ein besseres Sein, ist Zeichen für die Fähigkeit des Menschen, das Trennende zu überwinden – zwischen den Geschlechtern so sehr wie zwischen Mensch und Natur.

Um diese Überhöhung der Begegnung von Mann und Frau ins quasi Mythische zu unterstreichen, greift Grieshaber auf den griechischen wie den mittelalterlichen Legendenschatz zurück. Zitiert die von Carl Orff vertonten Vagantenlieder der »Carmina burana«, gesellt den Hirtengott Pan den Liebenden bei. In seiner Lithografieserie »Rauhe Alb« vereinigen sich Mann und Frau ganz offen sexuell und werden dabei zum Teil der archaischen Alblandschaft. Als sexuelles wie spirituelles Wesen findet der Mensch bei Grieshaber zurück zu seinem Platz in der Natur. Vision eines grünen Vordenkers und leidenschaftlich Liebenden. (GEA)

 

AUSSTELLUNGSINFO

Die Ausstellung »Die Liebe ist ein Hemd aus Feuer. Liebespaare bei HAP Grieshaber« ist von 3. Juni bis 25. September im Kunstmuseum Reutlingen/Spendhaus in der Spendhausstraße 4 zu sehen, Mittwoch, Samstag, Sonn- und Feiertag 11 bis 18 Uhr, Donnerstag, Freitag 14 bis 20 Uhr. Eröffnung ist diesen Donnerstag, 2. Juni, um 19 Uhr im Spendhaus. (GEA) www.kunstmuseum-reutlingen.de