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Hans-Christoph Rademann und seine ergreifende »Matthäus-Passion« in Stuttgart

2013 übernahm Hans-Christoph Rademann die traditionsreiche Gächinger Kantorei Stuttgart und gründete sie 2017 neu. Jetzt eröffnete er mit einer ergreifenden »Matthäus-Passion« das Erste Internationale Bachfest Stuttgart.

Hans-Christoph Rademann dirigiert die Gaechinger Cantorey Stuttgart.
Hans-Christoph Rademann dirigiert die Gaechinger Cantorey Stuttgart. Foto: Holger Schneider
Hans-Christoph Rademann dirigiert die Gaechinger Cantorey Stuttgart.
Foto: Holger Schneider

STUTTGART. Gaechinger Cantorey? Vor allem die älteren Musikfreunde erinnern sich noch gut an die Gächinger Kantorei, deren Gründer und langjährigen Leiter Hellmuth Rilling und dessen zyklische Bachkantaten-Aufführungen. Auf ihn folgte 2013 Hans-Christoph Rademann und verlangte eine strenge Ausrichtung an der historisch informierten Aufführungspraxis. Worauf auch diese historisierende Umbenennung infolge der Neugründung des Ensembles, die mit einer deutlichen Verschlankung des Aufführungsapparats einherging, zurückgeht.

Sie ist also Teil der Programmatik und kein kokettes Wortspiel. Unterstreicht Rademanns Anspruch auf die Oberliga in der Interpretation von barocker Musik. Wobei der quantitativ ausgedünnte Chor qualitativ auf einem Niveau agiert, dass jedes Ensemblemitglied partiell auch solistische Aufgaben übernimmt. Grundiert von einem hoch spezialisierten Barockorchester.

International ausgerichtet

Davon zeugte nun das Eröffnungskonzert des »Ersten Internationalen Bachfests Stuttgart«, hervorgegangen aus der Zusammenlegung der Bachwoche Stuttgart und dem im »Europajahr« 1985 von Rilling ins Leben gerufenen »Europäischen Musikfest«, das sich ebenfalls schon international ausgerichtet hatte. Mit Großprojekten wie dem »Requiem der Versöhnung« beispielsweise zum 50. Gedenkjahr an das Kriegsende und unter Beteiligung des Israel Philharmonic Orchestras.

Mit seiner Interpretation von Bachs »Matthäus-Passion« haben Hans-Christoph Rademann und die Gaechinger Cantorey ihren selbstgesetzten Anspruch, zur Oberklasse der Alte-Musik-Szene zu gehören, erfüllt. Rademann formte das Werk zum tief bewegenden klingenden Menschheitsepos; die Cantorey gab es mit Leidenschaft, hoher Intensität und rhetorischem Tiefgang wieder.

Tiefenscharf und prägnant

Vom Eingangs-Doppelchor mit seinen punktgenauen Einwürfen der vier Frage-Worte »wen«, »wie«, »was« und »wohin« bis zum ergreifenden »Wir setzen und mit Tränen nieder« setzte die Cantorey seine Intentionen um, so beispielsweise in den blitzartig-elektrisierenden turbae-Einwürfen oder in den emotional minutiös ausdifferenzierten Chorälen. Rademann verstand es auch, bei den kontemplativen Todes-Arien den Klang mitunter gleichsam erstarren und zugleich extreme Spannung entstehen zu lassen. Er entwickelte eine ausgeklügelte Disposition von Tempi und deren Übergängen, von Klanggruppen und dynamischen Spannungsauf- und abbauten mit einer frappierenden inneren Logik und präsentierte sein Ergebnis nicht als das Resultat akademisch-trockener Gelehrsamkeit, sondern als mitreißende Freisetzung musikalischer Energie mit Tiefenschärfe und straffer Prägnanz.

Die konsequent umgesetzte Rückbesinnung auf die zu Bachs Leipziger Leb- und Wirkungszeit praktizierte doppelchörige Aufstellung von Chor und Orchester (mit den beiden exzellenten Konzertmeistern Yves Ytier und Jonas Zschenderlein sowie dem großartigen Gambisten Joshua Cheatham) unterstrich dabei das stete dramatische Dialogisieren der beiden Gruppen, die zugleich ein starkes Fundament für die überwiegend sehr guten Solisten gelegt hatten.

Mühelose Ansprache in allen Registern

Dabei zentrierte der bezwingende Daniel Johannsen das Geschehen um sich, ein perfekt deklamierender und dabei zugleich alle Affekte zum Ausdruck bringender Evangelist voller tenoraler Substanz und mit müheloser Ansprache in allen Registern. Er übernahm auch hingebungsvoll die Arie »Ich will bei meinem Jesu wachen«.

Auf vergleichbar hohem Niveau bewegte sich der Altus Alex Potter. In den von Bach dem ersten Chor zugeordneten Alt-Arien spannte er einen herrlichen Vokalbogen vom schlichten »Buß und Reu« bis zum ergreifenden Klagegesang »Ach! Nun ist mein Jesus hin«. Sein Kollege Jonathan Mayenschein sprang kurzfristig für das Alt-Solo im zweiten Chor ein und meisterte mit edler Stimmführung das »Erbarm es Gott«. Genauso vermochte es der zweite Tenor im Solistenbunde, Christoph Pfaller, eindrucksvolle Akzente zu setzen.

Wohltuend unprätentiös

Die zentrale Basspartie des Jesus sang Matthias Winckler geradlinig, mit viel Empathie und zugleich wohltuend unprätentiös. Tobias Berndt gab markant den Pilatus und ließ seine Arie »Komm, süßes Kreuz« herrlich verströmen, wie auch Martin Schicketanz die Petrus-Partie und sein »Gebt mir meinen Jesum wieder« mit innerer Anteilnahme gestaltete. Bei den Solosopran-Partien führte Lucy de Butts mit ihrem »Blute nur, du liebes Herz« gegenüber der recht unausgewogenen Miriam Feuersinger. Alles in allem eine ergreifende Passions-Aufführung. (GEA)