TÜBINGEN. Nur selten lässt sich die Einheit von Musik und Liturgie an einem Konzertabend in einem Kirchenraum genauso sinnfällig wie sinnlich erleben wie in der jüngsten Tübinger Motette. Das GrauSchumacher Piano Duo zelebrierte nach György Kurtágs Klavierbearbeitung von Heinrich Schütz‘ kurzen, gleichwohl eindringlichen Meditationen über die »Sieben Worte Jesu Christi am Kreuz« den gewaltigen, ebenfalls siebenteiligen Zyklus »Visions de l’Amen« von Olivier Messiaen, eingebettet in die Karsamstagsandacht. Bei der Ingo Bredenbach seine apart gesetzte und differenziert registrierte Begleitung des Gemeindegesangs »O Traurigkeit, o Herzeleid« kreativ in die Nähe zu Messiaens Tonsprache rückte und Pfarrerin Barbara Hahn-Jooß mit ihrem tiefsinnig reflektierten Gebetstext zwischen dem zweiten und dem dritten Messiaen-Satz die Verbindung zur spirituellen Ebene seiner Musik herstellte.
Denn das Schaffen gerade dieses Komponisten zeugt von tiefer Verwurzelung im Christentum und im Glauben an die göttliche Schöpfung. Und so unternahm er in den »Visions de l’Amen«, wie er in seinem Vorwort zu diesem Stück schrieb, den Versuch, »diese so verschiedenen Reichtümer des Amen in sieben musikalischen Visionen auszudrücken – und damit zusammenhängend das Leben der Kreaturen, die allein durch das Schicksal ihrer Existenz schon ‚Amen‘ sagen.«
Vogelstimmen als Inspiration
Zu jenen Kreaturen, die Messiaen dabei besonders am Herzen lagen, gehören die Vögel. Deren vielstimmiger Gesang kehrt in seinen Werken in mannigfaltigen Varianten wieder, seien sie perkussiv wie im Klavierkonzert »Oiseaux exotiques«, seien sie sanft sublimiert, ja mit schmeichelndem Charme unterlegt wie in seinem Spätwerk des »Concert à quatre«. Die »Visions de l’Amen« von 1943 stehen in der Mitte dieser Entwicklung.
Das Duo Grau-Schumacher spielte Messiaens »Amen«-Visionen mit hingebungsvoller Anteilnahme und entführte den Hörer in die faszinierenden Klangwelten dieses Werkes. Ihr pianistischer Farbenreichtum umfasste den silbrigen Schimmer für den 5. Satz, eine mitunter heiter, gar verspielt wirkende Vision des Einswerdens der Vögel mit den Engeln und Heiligen, gleichermaßen wie die hymnische Leuchtkraft in der abschließenden Vision vom paradiesischen Jubel.
Von Anbeginn das Ganze vor Augen
Was hierbei besonders frappierte: das Duo hatte ungeachtet der bereits hinter ihm liegenden zahlreichen dynamischen Steigerungen in den anderen Sätzen noch die Power, ein paar Stärkegrade draufzulegen. Und dies nicht etwa knallig oder ungezügelt dreschend, sondern mit kontrollierter Wucht. Bereits die erste Vision vom »Amen der Schöpfung« schließt mit einem gewaltigen Crescendo, bei dem die beiden Pianisten gewaltige Klangblöcke auftürmten. Doch sie hatten eben von Anbeginn den gesamten Zyklus vor Augen, konzipierten klug dessen Aufbau und verschossen nicht schon nach den ersten zehn Minuten oder im vorletzten Satz, eine Vision des Jüngsten Gerichts mit brutalen Dissonanz-Ballungen, ihr gesamtes Pulver. Zu dem auch das Martellato-Feuerwerk in der Vision von der Kreuzigung Christi gehörte. Und bei der Entfesselung der aus dem Tanz hergeleiteten Triebkräfte die strikte Beachtung der von Messiaen zugrunde gelegten rhythmisch-metrischen Grundformeln.
Grau-Schumacher verstanden sich ebenso auf die zahlreichen Schattierungen im Piano, ließen im mit leichter Hand gezauberten Beginn vom »Amen du Désir« die Vision des elysischen Friedens anklingen, wie sie schon zu Beginn in Kurtágs Schütz-Bearbeitung subtil den zarten Zwischentönen beispielsweise in der Reflexion des Christus-Wortes »Weib, siehe, das ist dein Sohn« nachspürten. Eine Bravourleistung zweier individueller Künstlerpersönlichkeiten in gemeinsamer kammermusikalischer Disziplin (GEA).