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»Grafik für die Diktatur«: Das Kunstmuseum Stuttgart arbeitet seine Geschichte auf

Die Ausstellung »Grafik für die Diktatur. Die Geburt der Grafiksammlung des Kunstmuseums Stuttgart im Nationalsozialismus« thematisiert die Ursprünge einer völkischen Sammlung, die vor allem der NS-Ideologie entsprechen sollte.

Johannes Maier: »Der Urlauber« (1941).
Johannes Maier: »Der Urlauber« (1941). Foto: Christoph B. Ströhle
Johannes Maier: »Der Urlauber« (1941).
Foto: Christoph B. Ströhle

STUTTGART. Man bitte zur Kenntnis zu nehmen, dass die Stadt Stuttgart nach dem Zeugnis des Präsidenten der Reichskammer der bildenden Künste unter ihren 2.500 Kunstwerken »nicht ein einziges Stück entartete Kunst besessen hat oder noch besitzt«, schreibt der Leiter des Stuttgarter Kulturreferats im März 1939 an das Institut für Deutsche Kultur- und Wirtschaftspropaganda. Es sei in dieser Hinsicht zu einer bedauerlichen Verwechslung mit den staatlichen Kunstsammlungen des Landes Württemberg gekommen. Dem Schreiber ist es wichtig, geradezurücken, dass sich als »entartet« klassifizierte Gemälde von Ernst Ludwig Kirchner und Josef Eberz nicht im Besitz der Stadt Stuttgart befinden.

Die Kunst der Moderne, auch des Expressionismus, war unter den Nationalsozialisten verpönt. Was großen Einfluss auf das im Entstehen befindliche städtische Kunstmuseum in Stuttgart und die damals gegründete umfangreiche Grafiksammlung der Stadt hatte. Die Ausstellung »Grafik für die Diktatur« - im Untertitel heißt sie »Die Geburt der Grafiksammlung des Kunstmuseums Stuttgart im Nationalsozialismus« - gibt bis zum 14. September 2025 im Kunstmuseum Stuttgart einen Eindruck davon, was von den Verantwortlichen in der Diktatur als probat und sammlungswürdig betrachtet wurde. Man ließ sich von einem völkischen, nationalistischen und rassistischen Weltbild leiten, erwartete von der Kunst, dass sie der NS-Propaganda diente.

Gerth Biese: »Panzerschiff Deutschland« (1934).
Gerth Biese: »Panzerschiff Deutschland« (1934). Foto: Christoph B. Ströhle
Gerth Biese: »Panzerschiff Deutschland« (1934).
Foto: Christoph B. Ströhle

Nur ein Bruchteil der Grafiksammlung blieb erhalten - das Grafikinventar der Stadt wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört. Dennoch hat Kai Artinger, Provenienzforscher am Kunstmuseum Stuttgart und Kurator der Ausstellung, in jahrelanger Recherchearbeit Erkenntnisse über die Konzeption der Sammlung gewonnen, die er nun unter dem Ausstellungstitel auch in Buchform veröffentlicht hat.

Da sind zum einen Bilder des Krieges und besetzter Gebiete. Ziel der Kriegsmalerei sei es, »der Gegenwart die Größe des Kampfes anschaulich zu machen, indem sie der Mitwelt den Kriegsraum vor Augen führt, den heute die deutschen Waffen beherrschen, den deutsche Kraft erobert hat und hält«, schrieb Harald Seiler im 1942 vom Luftgaukommando VI Münster herausgebrachten Buch »Das Bild des Krieges«, das zahlreiche Abbildungen nach Aquarellen von Frontmalern enthielt. Die Stadt Stuttgart erklärte bereits 1939, dass besondere Berücksichtigung beim Erwerb von Kunstwerken diejenigen Künstler finden sollten, »die heute im feldgrauen Rock an der Front stehen«. Dazu zählte beispielsweise Hans Dorn, der 1931 mit 17 Jahren in die NSDAP eingetreten war und bis zur Einberufung in den Kriegsdienst an der Kunstakademie Stuttgart studierte. Ihm zu Ehren wurde anlässlich seines Todes in der Ukraine zu Beginn des Russlandfeldzugs ein teils farbig illustriertes Buch herausgegeben. Zudem wurden beispielsweise im Kronprinzenpalais Darstellungen von den Kriegsschauplätzen und dem Soldatenleben gezeigt.

Jos. Pflügl: »Stuka-Angriff« (1940).
Jos. Pflügl: »Stuka-Angriff« (1940). Foto: Christoph B. Ströhle
Jos. Pflügl: »Stuka-Angriff« (1940).
Foto: Christoph B. Ströhle

Zeichnungen wie »Die Tingstätte des Gaues Köln-Aachen in Jülich« entsprachen ganz der Ideologie der Nationalsozialisten, wie die Ausstellung aufzeigt. Eine Radierung von 1937 zeigt mit der Schwabenlandhalle ein nationalsozialistisches Bauprojekt.

Da Adolf Hitler die Vision von Deutschland als einem »Bauernreich« hatte, so wird ebenfalls deutlich, waren auf den offiziellen Kunstausstellungen unzählige Bauernbilder vertreten. Hektor Kirschs Holzschnitt »Der Revolutionär« - die Titelfigur ist monumental ins Bild gesetzt, sie geht mit wehender Fahne voran - und die anonyme Zeichnung »Gefolgsmann« thematisieren unmittelbar die NS-Bewegung. Eine Kohlezeichnung von Jos. Pflügl aus dem Jahr 1940 zeigt martialisch einen »Stuka-Angriff«. »Nicht allein die bildende Kunst verherrlichte das Sturzkampfflugzeug als angeblich unschlagbare Waffe, sondern auch die Literatur und der Film«, heißt es im Ausstellungsbegleitbuch »Grafik für die Diktatur«.

Akt der Manipulation

Heimatbilder bilden den Schwerpunkt dessen, was von der Sammeltätigkeit im Nationalsozialismus geblieben ist. Darunter sind ländliche und kleinstädtische Idyllen. Roland Niederbühls Radierung »Stuttgart, die Stadt der Auslandsdeutschen« (um 1942), die die Stadt als Ehrengabe oder Geschenk propagandistisch nutzte, erhielt nach dem Krieg einen neuen Bildtitel, indem der Zusatz »Stadt der Auslandsdeutschen« einfach wegradiert wurde. Kai Artinger spricht in diesem Zusammenhang von einem »aktiven Akt der Manipulation« zu dem Zweck, das Bild zur unverfänglichen Stadtansicht zu machen und den politischen Kontext der Grafik, ihre Propagandafunktion und die Zusammenarbeit des Künstlers mit dem NS-Regime vergessen zu machen.

Ausstellungsinfo

Die Ausstellung »Grafik für die Diktatur. Die Geburt der Grafiksammlung des Kunstmuseums Stuttgart im Nationalsozialismus« ist bis zum 14. September 2025 im Kunstmuseum Stuttgart, Kleiner Schlossplatz 1, zu sehen. Geöffnet ist Dienstag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr, Freitag bis 21 Uhr. Die Publikation zur Ausstellung (352 Seiten, 150 Abbildungen) ist im Museum für 19 Euro erhältlich. (GEA)

Unter dem Titel »Geschönte und verdrängte Biografien« nennt das Kunstmuseum Stuttgart in der Ausstellung vier Beispiele: Fritz Faiss, Heinrich Kübler, Peter Jakob Schober und Olga Waldschmidt. Sie stünden für Künstler, die später ihre Zusammenarbeit mit dem NS-Regime verschwiegen, beschönigten, vergessen machten oder eine Widerstandsvita erfanden.

Dass in die Grafiksammlung des Kunstmuseums auch NS-verfolgungsbedingt entzogene Werke gelangten, macht die Ausstellung am Restitutionsfall des Stuttgarter Kaufmanns Max Rosenfeld deutlich. Der Tabakgroßhändler und Kunstsammler starb 1943 im Durchgangs- und Konzentrationslager Westerbork in den deutsch besetzten Niederlanden. Die Stadt Stuttgart und das Kunstmuseum Stuttgart restituieren die ihm geraubten Kunstwerke - Grafiken von Carlos Grethe - an die Erben von Max Rosenfeld. Diese Arbeiten werden daher lediglich bis zum 9. Februar 2025 ausgestellt. (GEA)