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Aktuell NS-Verbrechen

»Gestapo vor Gericht« in Stuttgart: Sonderausstellung im Hotel Silber

Das Hotel Silber im Herzen Stuttgarts war während der NS-Zeit die Zentrale der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) für Württemberg und Hohenzollern. Heute ist es ein Museum. Dort beschäftigt sich nun die neue Sonderausstellung »Gestapo vor Gericht« mit der schwierigen Strafverfolgung der Nazi-Täter - und erschreckt mit überraschenden Zahlen.

Nur metaphorisch hinter Gittern: Viele Verbrechen der Stuttgarter Gestapo-Mitarbeiter kamen nie zur Anklage.
Nur metaphorisch hinter Gittern: Viele Verbrechen der Stuttgarter Gestapo-Mitarbeiter kamen nie zur Anklage. Foto: Paul Runge
Nur metaphorisch hinter Gittern: Viele Verbrechen der Stuttgarter Gestapo-Mitarbeiter kamen nie zur Anklage.
Foto: Paul Runge

STUTTGART. Kaum ein Ort könnte besser geeignet sein, um über die Gräueltaten der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) aufzuklären, als das Hotel Silber in Stuttgart. Nur einen Steinwurf vom Schlossplatz entfernt, war das ehemalige Gasthaus aus dem 19. Jahrhundert während der Zeit des Nationalsozialismus die Zentrale der Gestapo für Württemberg und Hohenzollern. Vor dort aus wurden Deportationen organisiert, Misshandlungen begangen, Morde verübt. Doch die Sonderausstellung »Gestapo vor Gericht« geht einen Schritt weiter als die bloße Darstellung nationalsozialistischer Grausamkeiten. Im Fokus steht das Danach: Strafverfolgung, Gerichtsprozesse, Konsequenzen. Leider - so muss man sagen - blieben letztere häufig aus.

Zwei Jahre wissenschaftliche Arbeit

»Wir stellen die Fragen am historischen Ort«, erklärt Paula Lutum-Lenger, Direktorin des Hauses der Geschichte Baden-Württemberg, zu dem das Museum Hotel Silber gehört. Wie umfassend waren die Ermittlungen gegen ehemalige Gestapo-Mitarbeiter? Wer wurde wofür wann verurteilt? Und wer hat die Täter angeklagt? Zusammen mit dem Team um die Kuratoren der Ausstellung, Lea-Theresa Berg und Friedemann Rincke, haben die Wissenschaftler zwei Jahre Prozess- und Ermittlungsakten studiert, Archive nach Informationen durchforstet und so zahlreiche Exponate zusammengetragen. Das Ergebnis ist eine historisch fundierte und gesellschaftlich wertvolle multimediale Ausstellung, die sowohl den Tätern als auch dem mit der NS-Aufarbeitung überforderten Nachkriegs-Deutschland auf den Zahn fühlt.

Tiefblaue Quader

Der Bürokratie- und Aktendschungel, der der Ausstellung zugrunde liegt, schlägt sich auch in der ästhetischen Präsentation nieder. Das Zentrum der 270 Quadratmeter großen Ausstellungsfläche wird durch eine verworrene, tiefblaue Gitterkonstruktion dominiert, in dessen kubischen Elementen über hundert Kurzbiografien von ehemaligen Gestapo-Mitarbeitern hängen. Alle haben einen Bezug zum Hotel Silber und zur Region und alle sind gleich nüchtern aufgebaut: Name, Tätigkeit, zuständiges Gericht, Vorwürfe, Urteil. Die kühlen Metalltafeln zeigen zudem - sofern vorhanden - ein Konterfei. Je mehr Informationen zu einer Vita bekannt sind und in die Ausstellung einfließen, desto präsenter rücken die Tafeln an die Betrachtenden. Erschreckend viele Namen und Gesichter verschwinden in der Tiefe des Raumes, nur metaphorisch hinter Gittern.

Um die Konstruktion herum zeigen einzelne Stationen ausgewählte Fälle der Strafverfolgung - angefangen bei den Nürnberger Prozessen, über Gerichtsverhandlungen im Ausland bis hin zum prominenten Fall des Stuttgarters Wilhelm Boger bei den Frankfurter Auschwitz-Prozessen in den frühen 60er-Jahren. Der Gestapo-Mitarbeiter und SS-Oberscharführer Boger - die »Bestie von Auschwitz« genannt - war im Konzentrationslager für seine grausamen Foltermethoden und willkürlichen Erschießungen bekannt und wurde 1965 zu lebenslanger Haft verurteilt. Neben Dokumenten wie der handschriftlichen Anzeige des ehemaligen Auschwitz-Gefangenen Adolf Rögner, die den Prozess ins Rollen brachte, und einer Zeichnung des KZ-Häftlings Wladysaw Siwek, haben die Kuratoren originale Tonbandaufnahmen der Verhandlung zugänglich gemacht.

Die Zeichnung des polnischen KZ-Gefangenen Wladysaw Siwek stellt die »Bestie von Auschwitz« Wilhelm Boger (Mitte) skelettartig u
Die Zeichnung des polnischen KZ-Gefangenen Wladysaw Siwek stellt die »Bestie von Auschwitz« Wilhelm Boger (Mitte) skelettartig und unmenschlich dar. Foto: Paul Runge
Die Zeichnung des polnischen KZ-Gefangenen Wladysaw Siwek stellt die »Bestie von Auschwitz« Wilhelm Boger (Mitte) skelettartig und unmenschlich dar.
Foto: Paul Runge

Viele Richter waren ehemalige NSDAP-Mitglieder

Doch lange nicht alle Täter wurden belangt. »Das Stuttgarter Landgericht hatte damals kein Interesse an einer Aufklärung«, erklärt Kurator Rincke. Jeder Strohhalm sei ergriffen worden, um kein Urteil fällen zu müssen. Zudem seien viele verantwortliche Richter ehemalige NSDAP-Mitglieder gewesen. So machte der promovierte Jurist und SS-Sturmbannführer Rudolf Bilfinger nach Kriegsende in der Bundesrepublik Karriere - ehe er als Oberverwaltungsgerichtsrat beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg 1965 wegen seiner NS-Vergangenheit in den Ruhestand geschickt wurde. Obwohl er als Chef des Amtes II im Reichssicherheitshauptamt (RSHA) an allen grundlegenden Besprechungen über die »Endlösung der Judenfrage« teilnahm, wurden die Ermittlungen gegen Bilfinger 1970 eingestellt - da der Verdacht zur Beihilfe des Mordes weder ausgeräumt noch bestätigt werden konnte.

Gegen rund 3.000 Verdächtige ermittelte die Berliner Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Arbeitsgruppe gegen ehemalige Mitglieder des RSHA. In lediglich vier Fällen kam es zur Anklage. Die restlichen Verdachtsfälle konnten entweder nie bewiesen werden oder waren seit einer Gesetzesänderung von 1968 verjährt.

Straffreiheitsgesetz wird missbraucht

Schon kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges profitierten viele Gestapo-Mitarbeiter von einem der ersten Gesetze der jungen Bundesrepublik überhaupt: dem Straffreiheitsgesetz vom 1. Januar 1950. Ursprünglich dazu gedacht, die grassierende Kleinkriminalität nach dem Krieg zu amnestieren, wurde es schnell instrumentalisiert, um NS-Verbrecher zu entlasten. Selbst im Falle Wilhelm Bogers, der letztendlich zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, sind die Ermittlungen einst nur zögerlich aufgenommen worden.

Ausstellungsinfo

Die Sonderausstellung »Gestapo vor Gericht« ist bis zum 2. Februar 2025 im Hotel Silber (Dorotheenstraße 10) in Stuttgart - unweit des Schlossplatzes - zu sehen. Geöffnet ist der Erinnerungsort von Dienstag bis Sonntag und an Feiertagen von 10 bis 18 Uhr, mittwochs ist bis 21 Uhr länger geöffnet. Der Eintritt kostet 2 Euro, ermäßigt nur 1 Euro.
www.gestapo-vor-gericht.de

Insgesamt behandelt die Ausstellung »Gestapo vor Gericht« den schwierigen Themenkomplex von Schuld, Sühne und der unvorstellbaren Barbarei der deutschen Gestapo-Mitarbeiter kühl und professionell. Emotionen stehen nicht im Vordergrund. Den Gestapo-Kommissar Alfred Hagenlocher, nach dem Krieg Gründer und langjähriger Leiter der Reutlinger Hans-Thoma-Gesellschaft, heute Kunstverein Reutlingen, sucht man in der Sonderausstellung vergeblich. Man findet ihn aber in der Dauerausstellung einen Stock tiefer. Auch wenn die Installation - sicherlich bewusst - zunächst eine diffuse Beklemmung auslöst, speist sich der Wert vor allem aus der historischen Arbeit, die in jedem der über hundert Porträts und der einzelnen, detaillierten Stationen steckt. Keinem der ernsten Gesichter, die einem beim Betrachten entgegenblicken, sieht man die Grausamkeiten an, die sie begangen haben. Nicht einmal der »Bestie von Auschwitz«, wie auch schon Zeitgenossen des Prozesses berichteten. (GEA)