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Aktuell Aktion

Gedok-Gründerin »ihrer Zeit weit voraus«

Die Gedok würdigt bei Osiander in Reutlingen die Gründerinnen Ida Dehmel und Leni Matthaei

Eine der Gruppen, die bei Osiander las und musizierte: Vivika Krämer (Klarinette), Gudrun Heller-Hoffmann, Anne Munding und Agne
Eine der Gruppen, die bei Osiander las und musizierte: Vivika Krämer (Klarinette), Gudrun Heller-Hoffmann, Anne Munding und Agnete Bauer-Ratzel (von links). FOTO: BÖHM
Eine der Gruppen, die bei Osiander las und musizierte: Vivika Krämer (Klarinette), Gudrun Heller-Hoffmann, Anne Munding und Agnete Bauer-Ratzel (von links). FOTO: BÖHM

REUTLINGEN. Der Mut und die unkonventionell-fortschrittliche Gesinnung der vor 150 Jahren geborenen Gedok-Gründerin Ida Dehmel stand im Fokus einer Lesung »Who is Ida?« von Gedok-Mitgliedern, die in der Buchhandlung Osiander in Reutlingen stattfand. Thema war auch das Leben von Leni Matthaei, Gründerin der Gedok Reutlingen. Die Veranstaltung sei, so die Vorsitzende Barbara Krämer, auch ein Vorgriff auf die Feiern zum 70-jährigen Bestehen der Gedok Reutlingen im nächsten Jahr. Als Besonderheit war eine Sonderbriefmarke herausgegeben worden, die nur bei der Lesung erhältlich war.

»Oft ist Ida Dehmel nur als Ehefrau von Richard Dehmel bekannt«, sagte Barbara Krämer. »Doch sie war ihrer Zeit weit voraus, indem sie schon 1926 eine interdisziplinäre Gruppe von Künstlerinnen ins Leben rief.«

Auch Leni Matthaei solle geehrt werden. »Schon meine Großmutter und Mutter waren Fans der Gedok. Es ist überraschend, dass die Gründerin im Ort so wenig wahrgenommen wird«, so Krämer. Bundesweit feierten alle Gedok-Gruppen gleichzeitig ihre Initiatorin.

Um an die beiden bedeutenden Frauen zu erinnern, fanden um 14, 15 und 16 Uhr an drei Stationen in der Buchhandlung Osiander Lesungen statt. In Kleingruppen führten Barbara Krämer, Gudrun Heller-Hoffmann, Xenia Muscat, Ingrid von Normann-Ehrenfels, Renate Quast, Anne Munding, Annette Koppenborg, Erika Christine Baumann und Agnete Bauer-Ratzel einen Dialog über Leben und Werk der Gründerpersönlichkeiten. Auch Clara Westhoff-Rilke, Annette Kolb, Hilde Domin und Else Weber waren Texte gewidmet. Für die musikalische Begleitung sorgte Vivika Krämer auf der Klarinette.

Wie die Zuhörer erfuhren, wurde Ida Dehmel am 14. Januar 1870 in Bingen als Tochter der jüdisch-deutschen Familie Coblenz geboren und war schon früh an Literatur, Musik und Malerei interessiert. Wie man es von ihr als »höherer Tochter« erwartete, heiratete sie 1895 den Berliner Kaufmann und Konsul Leopold Auerbach. Nach kurzer Ehe heiratete sie 1901 Richard Dehmel und zog mit ihm nach Hamburg.

»Ida Dehmel hatte einen scharfen Verstand, organisatorisches Geschick, Hilfsbereitschaft und einen ausgeprägten Willen«, sagte Anne Munding. Sie engagierte sich in Vereinen und Verbänden und setzte sich unter anderem für die Belange von Frauen beim Wahlrecht ein. Ihr Haus sei zu einem Ort zahlreicher gesellschaftlicher Veranstaltungen geworden. 1926 gründete sie die »Gemeinschaft Deutscher und Oesterreichischer Künstlerinnenvereine aller Kunstgattungen« (Gedok) als Netzwerk und zur Förderung künstlerisch tätiger Frauen. 1933 habe die Vereinigung bereits 7 000 Mitglieder gehabt, jedoch sei Ida Dehmel als Jüdin zunehmend unter Druck geraten und schließlich zum Rücktritt gezwungen worden. Dies trug mit zu ihrem Freitod am 29. Oktober 1942 bei.

Älteste Einwohnerin

1951 entstand die Regionalgruppe Reutlingen durch Leni Matthaei, die durch ihre Klöppelspitzenherstellung zu Berühmtheit gelangt war. Sie wurde am 2. Juni 1873 in Stade geboren. Schon früh fertigte sie Klöppelarbeiten im geometrisch-abstrakten Stil des Art déco, für die sie 1929 auf der Weltausstellung in Barcelona die Goldmedaille in Textilkunst erhielt.

Die Reihe ihrer Ausstellungen reichte bis nach Kanada und Australien. In einem eigenen Unternehmen beschäftigte sie Klöpplerinnen aus dem Erzgebirge. Als sie 1943 durch einen Bombenabwurf in Hannover ihre gesamte Habe verlor, zog sie mit ihrem Mann in die Textilstadt Reutlingen, wo sie 1981 im Alter von 107 Jahren als damals älteste Einwohnerin von Baden-Württemberg verstarb. (GEA)