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Gauthier Dance lässt im Stuttgarter Theaterhaus die Elemente toben

Vier Uraufführungen mit Gauthier Dance waren bei der Premiere des Tanzabends »Elements« im Stuttgarter Theaterhaus zu erleben.

Wilde Unterwasserwelt: Das Ensemble von Gauthier Dance in »Almyra« von Andonis Foniadakis.
Wilde Unterwasserwelt: Das Ensemble von Gauthier Dance in »Almyra« von Andonis Foniadakis. Foto: Jeannette Bak
Wilde Unterwasserwelt: Das Ensemble von Gauthier Dance in »Almyra« von Andonis Foniadakis.
Foto: Jeannette Bak

STUTTGART. Eric Gauthier lässt die Elemente toben: Für Feuer, Wasser, Luft und Erde stehen die vier Uraufführungen, zu denen er wieder vier internationale Top-Choreografen ins Stuttgarter Theaterhaus gelockt hat. Entstanden sind drei wilde, dynamische Ensemblestücke und ein nervöses Solo für seine energiegeladenen Tänzer. Anders als beim letzten thematisch gebundenen Abend »The Seven Sins« ergänzen sich die vier Handschriften nicht unbedingt zum perfekten Gesamtbild, sondern bleiben eher ein Mosaik.

Mit ihrer trippelnden Gruppendynamik ist die Israelin Sharon Eyal eine der angesagtesten Choreografinnen der Gegenwart, eine Uraufführung von ihr darf als Ereignis gefeiert werden. Ihr kurzes, aber heftiges »Alone« fällt erstaunlich beschwingt aus, fast blitzt Humor auf – wären da nicht die blutigen Hälse von vier Frauen, die sich nach und aus der geschützten Gemeinschaft herausschälen, die hier vor sich hin wogt.

Spaß und Stirnrunzeln

Zur jazzigen, ja lockeren Musik der englischen Popsängerin Eliza entfaltet sich die Gruppe wie eine Blume oder schließt verschreckt die Reihen wie eine Schar Tiere. Immer wieder blitzen in den Armen Ballettzitate auf und prallen auf verstörende Bilder wie losgelöst erscheinende Köpfe. Sehen wir blutige Zombies, die sich aus einer noch normalen Menschheit herauslösen, sehen wir blutende Terroropfer? Oder vielleicht eine Gemeinschaft, die das Fremde toleriert, integriert und tröstet? Auf jeden Fall sehen wir eine faszinierende Körperspannung und genügend rätselhafte Bilder, um dem Spaß an diesem Stück ein Stirnrunzeln hinzuzufügen.

»Almyra«, so der Titel des Wasser-Stückes von Andonis Foniadakis, bedeutet eigentlich »Salzlake« – hier meint es, so erklärt Eric Gauthier zwischendurch, den Moment, wo das Meerwassersalz auf der Haut trocknet. In einem funkelnden Wolkentrichter aus Laserlicht jagt der griechische Choreograf seine acht Tänzer immer wieder in rasante, lange Steigerungen und bildet das Wogen des Meeres in wild wogenden Körpern ab. Durchsetzt ist dieser dynamische, aber am Ende ein wenig ziellos wirkende Tanz mit kurz aufflackernden Meeresbildern - eine Frau wird aus dem Meer gerettet, eine Wasserpflanze züngelt, die stumme Jenseitigkeit der Tiefsee verlangsamt jede Bewegung.

Die verlorene Heimat: Garazi Perez Oloriz und das Ensemble von Gauthier Dance in »Spighe« von Mauro Bigonzetti.
Die verlorene Heimat: Garazi Perez Oloriz und das Ensemble von Gauthier Dance in »Spighe« von Mauro Bigonzetti. Foto: Jeannette Bak
Die verlorene Heimat: Garazi Perez Oloriz und das Ensemble von Gauthier Dance in »Spighe« von Mauro Bigonzetti.
Foto: Jeannette Bak

Die Ausnahmetänzerin Louise Lecavalier schoss einst wie ein Torpedo im Lederkorsett durch die Luft und drehte die gefährlichsten Pirouetten. Noch heute tanzt sie mit 65 Jahren alles raus, was ihr auf der Seele liegt - so jedenfalls wirkt das nervöse, feingliedrige Solo »Ether«, das die kanadische Legende in Stuttgart mit Anneleen Dedroog einstudierte. Diese sehr große, schmale Walküre spielt hier mit dem Rhythmus und steigert sich, mit Gesten um sich schlagend, in eine Art getanzten Wortschwall hinein – genervt und fluchend, melancholisch und davonfliegend, selbstbewusst und stark.

Nach drei derart dynamischen, schnellen Stücken lauscht Mauro Bigonzetti mit stillen Duos in die Erde hinein - was für ein schöner, ehrlicher Tanz. Der Italiener gehört zu den ältesten Freunden von Gauthier Dance und hat hier zahlreiche Stücke choreografiert. »Spighe«, so der Titel des neuesten, sind Ähren, die hier immer wieder fiktional aus den Händen der Tänzer über ihre Kollegen gestreut und zerbröselt werden. Zu einem sterbenstraurigen Song über verhungerte Kinder zeigen die sieben Paare einen erdverhafteten Tanz – oft stehen sie breitbeinig, mit nackten Füßen auf dem Boden, es gibt keine Sprünge.

Aufführungsinfo

»Elements« mit Gauthier Dance ist wieder am 2. und 3. März, von 6. bis 10. März und von 15. bis 18. Mai im Theaterhaus Stuttgart zu erleben. Weitere Infos gibt es unter www.theaterhaus.com. (GEA)

Gudrun Schretzmeiers Kostüme evozieren mit bauschigen Röcken und losen Bauernhosen eine vage Vergangenheit auf dem Land. Zu einer Collage aus italienischen Songs und sparsamer Klaviermusik ist es ein Stück über die Erde und ihre Früchte, über Heimatlosigkeit und das, was für immer verloren ging. Bei aller Erinnerung an Bigonzettis turbulentes Erfolgsstück »Cantata«, und ohne ein wildes Finale geht es auch hier nicht, hat »Spighe« einen sehr ernsten Unterton – vielleicht liegt auch im Tanz, genau wie im Leben, das Wesentliche in der Reduktion. (GEA)