REUTLINGEN. Erstmalig mit seiner neuen Dirigentin Ella Rosenberg spielte das Reutlinger Kammerorchester am Samstagabend in der Kreuzkirche. Das Publikum war gespannt, wie das Orchester unter seiner neuen Stabführung agieren und klingen würde. Auf dem Programm standen Werke von Georges Bizet und Felix Mendelssohn Bartholdy, und so durfte man sich passend zum Sommerwetter auf leidenschaftliche Musik der Romantik freuen.
Gelungener Auftakt
Zur Eröffnung erklang das Intermezzo aus Bizets Arlesienne-Suite. Schon die ersten feierlichen Takte mit dem Wechsel aus Orchester-Unisono und Holzbläser-Chorälen zeugten mit rundem Klang und sicherer Intonation von der hohen Qualität des Ensembles. In den folgenden Kantilenen gelang es Ella Rosenberg, große Bögen zu spannen und gleichzeitig für die exakte Pizzicato-Begleitung der Streicher zu sorgen. Ein gelungener Auftakt!
Mendelssohn schrieb sein erstes Klavierkonzert für die damals 17-jährige Delphine von Schauroth. Er schätzte sie nicht nur als Virtuosin, sondern war wohl auch bis über beide Ohren in sie verliebt – beste Voraussetzungen, um ein romantisches Klavierkonzert zu komponieren. Was liegt da näher, als die ebenfalls 17-jährige Pianistin Elisabeth Namchevadze für dieses Konzert einzuladen? Sie ist schon mit einigen internationalen Preisen ausgezeichnet worden und spielte in Sälen wie der Carnegie Hall und dem Concertgebouw in Amsterdam.
Musikalische Liebeserklärung
Schon in der Eröffnung des Klavierkonzertes vermag die junge Solistin das Publikum zu fesseln und gemeinsam mit den Musikern in den Strudel der wechselnden Gefühle einzutauchen. Orchester und Solopart sind durch furiose Ausbrüche, spannungsgeladene Melodien und präzise Bläsereinwürfe eng verwoben und fordern von allen Musikern höchste Konzentration. Elisabeth Namchevadzes virtuoses Klavierspiel versprüht Kraft und Energie, bleibt dabei jedoch stets elegant und differenziert.
Ella Rosenberg führt das Orchester souverän an allen Klippen der Partitur vorbei und gibt den lyrischen Passagen Fluss und Richtung. Zu Beginn und Ende des zweiten Satzes erklingen kurze Fanfaren, feierlich vorgetragen von den Hörnern und Trompeten. Den Mittelsatz musiziert Namchevadze introvertiert mit äußerst differenzierter Dynamik, gelegentlich begleitet vom Kontrapunkt der tiefen Streicher. Es gelingt ihr, dieser Musik den Ausdruck dessen zu geben, was sie wohl sein soll: eine zarte Liebeserklärung des jungen Felix Mendelssohn. Im abschließenden »Allegro con fuoco« feuert die Solistin die ausgelassene Spielfreude des Orchesters noch einmal kräftig an, selbst das kurze »Molto meno mosso« vermag den akrobatischen Tanz ihrer Finger nur kurz aufzuhalten. Das begeisterte Publikum quittiert mit donnerndem Applaus.
Spät entdecktes Jugendwerk
Der siebzehnjährige Georges Bizet komponierte seine erste Sinfonie während seines Studiums am Pariser Konservatorium. Er brauchte dazu gerade einmal vier Wochen, danach verschwand sie im Archiv und wurde erst sechzig Jahre nach seinem Tod entdeckt und uraufgeführt. Ella Rosenberg versteht es, der Übergangsepoche dieses Werkes zwischen Wiener Klassik und früher Romantik gerecht zu werden. Sie ermuntert das bestens aufgelegte Orchester zum straffen Musizieren in den Ecksätzen, wobei sie die Dynamik stets unter Kontrolle hat und die Musik transparent hält.
Das innige Oboensolo als Hauptthema des zweiten Satzes begleitet sie aufmerksam und zurückhaltend, um im Fugato des Mittelteils wieder beherzt die Führung zu übernehmen. Das Scherzo kommt gelassen aber beschwingt daher, alle Streicher und Bläser sitzen jedoch in Erwartung des Finales schon auf der vorderen Stuhlkante. Sichtlich gut gelaunt lässt Rosenberg ihren Musikern freien Lauf und führt das Orchester mit Leichtigkeit und Esprit durch die Partitur. Dabei verfügt sie nicht nur über solide Handwerkskunst, sondern versteht es auch, ihre Musiker mit freundlicher Suggestion mitzunehmen und zu begeistern.
Fazit dieses romantischen Konzertabends: Mit 17 hat man noch Träume … (GEA)