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Fremdgehen auf »W«: Reutlinger Tonne lädt zum Lachtraining mit Helge-Thun-Sketchen

Dass menschliche Kommunikation gelingt, ist die unwahrscheinlichste Sache der Welt. Wie unwahrscheinlich, das wissen am besten die Besucher der neuen Tonne-Produktion »Thuns komische Werke«. Am Donnerstag war Premiere.

Waltraut wagt was, Walter wartet: David Liske und Magdalena sind in einem Rendezvous gefangen, in dem  jedes Wort mit »W« anfang
Waltraut wagt was, Walter wartet: David Liske und Magdalena sind in einem Rendezvous gefangen, in dem jedes Wort mit »W« anfangen muss. Foto: Armin Knauer
Waltraut wagt was, Walter wartet: David Liske und Magdalena sind in einem Rendezvous gefangen, in dem jedes Wort mit »W« anfangen muss.
Foto: Armin Knauer

REUTLINGEN. Es darf gelacht werden. Angesichts multipler Krisen der Welt lädt die Tonne zur Zwerchfell-Lockerung. Den Stoff dafür liefert mit Helge Thun ein Klassiker der südwestdeutschen Humorszene. Weshalb der Titel »Thuns komische Werke« völlig in Ordnung geht. Der Meister mit norddeutschem Migrationshintergrund stiftet dazu nicht nur die Texte, sondern führt auch Regie und sorgt für die Ausstattung.

Was gut ist, denn der Sketch als solcher ist theatertechnisch heikles Terrain. Timing, Figuren, Wortwitz, Situationskomik – allzu viel muss passen, damit die Menge an vorgesehener Stelle losprustet. Womit die Theaterform des Sketch-Abends lustigerweise dieselbe Problematik ereilt, die ihr eigentliches Thema ist. Denn Sketch für Sketch geht es, bei Helge Thun nicht anders als bei Loriot, um den Fakt, dass gelingende Kommunikation die unwahrscheinlichste Sache der Welt ist.

Verhör mit Reimzwang

Nur dass Helge Thun noch ein bisschen gemeiner ist als der freundliche Herr Loriot. Und seinem Kommunikationspersonal zur ohnehin schon hohen Unwahrscheinlichkeit gerne noch ein paar Zusatzhürden auferlegt. Beim Seitensprung von Waltraut mit Walter etwa muss aus irgendwelchen Gründen jedes Wort grundsätzlich mit einem »W« anfangen. Während sich im Verhör der mordverdächtigen Frau F. jeder Satz auf »-acht« reimen muss. Mit solchen Kunstgriffen lenkt Thun die Aufmerksamkeit vom Inhalt des Dialogs auf die Tatsache, dass Kommunikation als solche schon wahnwitzige Züge hat.

Damit daraus Komik wird, muss die Sache locker, flockig und mit einer gewissen Lässigkeit daherkommen. Genau das geschieht hier: David Liske klimpert beim Reinlaufen schon mal auf dem E-Piano herum; Rupert Hausner scheint noch als Besucher seinen Stuhl zu suchen; Chrysi Taoussanis und Magdalena Flade rollen genervt die Augen, wenn einer der Kollegen wieder mal von der falschen Seite auftritt – oder nicht wie vorgesehen durch die Tür, die als zentrales Bühnenelement mitten im Raum steht. Womit sie endlosen Slapstick ermöglicht. Sich zwischendurch über die eigene Aufführung lustig zu machen, gehört mit zum Spiel. Zumal der Besucher nie weiß, was nun echte oder inszenierte Panne ist.

Als Guevara in Havanna war

Aus diesem Geplänkel müssen sich nun in Sekundenschnelle die eigentlichen Szenen formieren. Und die Typen, die da im Spiel sind, prägnant Profil gewinnen, fast wie Comicfiguren. Das klappt umwerfend. Rupert Hausner ist der beinhart verhörende Kommissar, der zerstreute Vereinskassenwart, der Ritterspiel-Veranstalter, der zu tief in sein Hobby verstrickt ist. Chrysi Taoussanis ist die pikierte Sexualfachfrau im Medizintalk, die coole Gender-Aktivistin im Krisenmodus, die Wohlstandsfrau im Wellness-Stress. Magdalena Flade ist das Flötenengelchen, das den Text vergessen hat, die Mordverdächtige, die ihre Unschuld beteuert, die Kulturjournalistin im ehrfürchtigen Interview mit dem Starpianisten. David Liske ist der Koi-Käufer in der Wortspiel-Endlosschleife, der Starpianist mit Spezialwissen über Chopins Trauermarsch und zusammen mit Hausner der Seniorenheim-Bewohner, der sich in alten Revoluzzerzeiten verliert (»Weißt du noch, wann Che Guevara in Havanna war?«).

Das hat alles Pep, die Komik sitzt. Man will sich wegwerfen, wie sich die vier Szene für Szene durch Herausforderungen der Verständigung kämpfen, die notwendig scheitern müssen. Und wie sie versuchen, dabei irgendwie Haltung zu bewahren. Das launige Geplänkel zwischen den Szenen (»Solltest du nicht von der anderen Seite auftreten?«) setzt dem die Krone auf. Wie sagte doch Helge Thun? Ohne Scheitern keine Kommunikation. Weshalb alles in einen Songreigen auf die Kalamitäten des Bahnfahrens mündet. (GEA)