TÜBINGEN. Gut, eine Größe aus der Politik ist nicht nach Tübingen gekommen, zur Eröffnung der 42. Französischen Filmtage Tübingen Stuttgart am Mittwochabend. Man hatte da an Emmanuel Macron gedacht, Staatspräsident der Französischen Republik und Kofürst des Fürstentums Andorra, wie die Moderatorin der Eröffnungsgala, Stefanie Schneider, Zweite Vorsitzende des Trägervereins Filmtage Tübingen und SWR-Landessenderdirektorin, im Tübinger Kino Museum verriet. In Zeiten, die politisch so turbulent wie diese seien, habe man dafür Verständnis, dass es nicht geklappt hat. »Vielleicht hat er ja nächstes Jahr mehr Zeit. Mal sehen«, fügte Schneider mit Blick auf Macron hinzu - wobei sie keinen Zweifel ließ, dass das größte Schaufenster des frankofonen Kinos in Deutschland, das die Französischen Filmtage darstellen, Anlass genug für einen solchen Besuch wäre.
500 Filme hat die aus Lisa Haußmann, der neuen künstlerischen Leiterin des Festivals, Florian Bauer (Kaufmännische Geschäftsführung) und Bärbel Mauch (Programm-Management) bestehende Auswahlkommission gesichtet und gut 50 Langfilme ausgewählt, die bis zum 5. November in den Kinos Museum und Atelier (Tübingen), Atelier am Bollwerk (Stuttgart), Kamino (Reutlingen) und Kino am Waldhorn (Rottenburg) gezeigt werden. Wobei immer wieder auch Filmschaffende und andere Festival-Gäste in den Vorstellungen auftauchen, um mit dem Publikum ins Gespräch zu kommen, das spielstätten- und städteübergreifend die größte Jury des Festivals bildet. Der an einen Film in der Sektion »Horizonte« vergebene Publikumspreis ist mit 3.000 Euro dotiert. Eine Fachjury kürt zudem die Gewinnerin oder den Gewinner des Filmtage Tübingen Preises, der mit 5.000 Euro dotiert ist. Um ihn konkurrieren in diesem Jahr neun erste und zweite Langfilme von jungen Filmschaffenden aus Frankreich, Belgien, der Schweiz und dem afrikanischen Kontinent. Sektionsübergreifend vergeben auch Jugendjurys in Tübingen und Stuttgart Preise.

Stefanie Schneider erinnerte in der auch ins Reutlinger Kino Kamino übertragenen Eröffnungsgala daran, dass die heutige künstlerische Leiterin der Filmtage, Lisa Haußmann, einst in der Jugendjury begonnen hat. Danach befragt, was sie heute zu ihren »Herzschlag-Projekten« des Festivals zähle, nannte Haußmann die Sektion »Junges Publikum«, mit der das Festival ein Kinder- und Familienprogramm mit Filmvorführungen, Workshops und Mitmach-Aktionen für die jüngsten Kinogängerinnen und -gänger bekommt. Im Tübinger Kino Museum ist am Sonntag, 2. November, von 10 bis 16 Uhr Familientag.
Aly Keïta, Deutscher Jazzpreis-Träger 2022 in der Kategorie »Special Instruments«, gab dem Festivalauftakt mit seinem virtuosen Spiel auf dem Balafon einen ansprechenden musikalischen Rahmen. Im Saal begrüßt wurden unter anderem die Filmschaffenden Léonor Serraille, Valentine Cadic und Antoine Jouve. Serraille ist beim Festival eine Werkschau gewidmet. Die drei trugen auf Deutsch auch die Worte, dass das Festival nun eröffnet ist, vor. Zuvor hatten die live zugeschalteten Protagonisten des Eröffnungsfilms »À bicyclette!«, Mathias Mlekuz und Philippe Rebbot, diese auf Französisch ausgesprochen.
Mit dem Fahrrad auf die Bühne
Was war sonst bei diesem Festivalauftakt besonders? Dass passend zum Eröffnungsfilm immer wieder vom Fahrradfahren die Rede war und Mitglieder der Auswahlkommission mit dem Fahrrad auf die Bühne kamen. Dass Carl Bergengruen, Geschäftsführer der Medien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg (MFG), verriet, dass seine Liebe zum französischen Kino einst mit den Filmen von Louis de Funès begann. »Damit konnte man aber die zwölfjährigen Mädels nicht so begeistern. Deswegen hab' ich dann umgeswitcht auf Truffaut-Filme«, sagte er. Wie zuvor der ebenfalls anwesende Kulturstaatssekretär Arne Braun stellte Bergengruen dem Filmstandort Baden-Württemberg ein gutes Zeugnis aus. Im Bereich Animation und visuelle Effekte habe es ein Wachstum von 800 Prozent in den letzten zehn Jahren gegeben. Da sei man »die Nummer eins in Deutschland«. Besorgt zeigte sich Bergengruen allerdings über die niedrigen Margen in den Lichtspielhäusern. Kinos seien kein Wachstumsbereich, diese würden als kulturelle und soziale Orte aber gebraucht.
Arne Braun sprach sich für eine Stärkung und Weiterentwicklung der Kreativwirtschaft aus, die, wie er meinte, angesichts der aktuellen Krise in der Automobilindustrie und im Maschinenbau einen gewissen Kontrapunkt setzen könnte. Tübingens Kulturbürgermeisterin Gundula Schäfer-Vogel sagte: »In schwierigen Zeiten brauchen wir die Kultur mehr denn je, um resilient zu sein.«
Aufführungsinfo
Der Filmtage-Eröffnungsfilm »À bicyclette!« läuft in der Festivalsektion »Horizonte« und ist noch am 30. Oktober im Tübinger Kino Museum und im Kino im Waldhorn in Rottenburg sowie am 1. November im Atelier am Bollwerk in Stuttgart und am 4. November im Tübinger Kino Blaue Brücke zu sehen. 125 Vorstellungen frankofoner Filme gibt es beim bis zum 5. November dauernden Festival insgesamt, wobei in etlichen Fällen Filmschaffende diese selbst vorstellen und mit weiteren Gästen und dem Publikum ins Gespräch kommen. (GEA)
Mathias Mlekuz und Philippe Rebbot wollten vorab zu ihrem Film »À bicyclette!« nicht allzu viel sagen, boten aber an, darüber nach der Vorstellung mit dem Publikum ins Gespräch zu kommen. Es ist ein sehr persönlicher Film, ein Spiel zwischen Dokumentar- und Spielfilm. Mlekuz verarbeitet darin gemeinsam mit Rebbot, seinem Schauspiel-Kollegen und Freund, die Trauer und das Unverständnis angesichts des Todes seines Sohns Youri. Mit Rad, Zelt und Hund haben sie sich von Frankreich aus nach Istanbul aufgemacht, von der Kamera begleitet, ohne Skript. Unterwegs sind sie auf der Strecke, die Youri fünf Jahre zuvor zurückgelegt hat. Dabei dient ihnen ein Fotobuch als Orientierung. Wie er es tat, unterhalten sie Schülerinnen und Schüler als Clowns, zaubert der eine den anderen weg und lässt ihn wieder erscheinen. Wenn es im Leben nur auch so einfach wäre!
Als Zuschauer beobachtet man Mlekuz und Rebbot, wie sie füreinander da sind, einander Kraft in Gesprächen über Alltägliches und existenzielle Fragen und auch in der Stille geben. Wie Begegnungen unterwegs sie verändern. Wie ihr Umgang miteinander zwischen Humor und Nachdenklichkeit auch einen selbst tief berührt. Wie sich zu Momenten des Schmerzes immer wieder auch eine lebensbejahende Leichtigkeit und Zuversicht gesellen. (GEA)

