TÜBINGEN. Mit tragikomischen Blechbläserfanfaren starten am 30. Oktober die 41. Französischen Filmtage in Tübingen, Reutlingen, Rottenburg und Stuttgart. Dabei wäre der große Tusch eigentlich erst 2025 fällig, wenn Lisa Haußmann die Nachfolge von Christopher Buchholz als Festivalleitung antritt. Da Buchholz bereits weg ist, gibt es nun eine »Ausgabe ohne Chef«. Diesmal müssen die Ehrenamtlichen ran, die sonst eher hinter den Kulissen wirken. Wie die Vizevorsitzende der Filmtage Tübingen e.V. Stefanie Schneider oder Bärbel Mauch, schon bisher Teil der Programmkommission, diesmal nun Programmdirektorin.
Festivalinfo
Die Französischen Filmtage bieten vom 30. Oktober bis zum 6. November 51 Langfilme sowie drei Kurzfilmprogramme. Schauplätze sind in Tübingen die Kinos Museum und Atelier, in Reutlingen das Kamino, in Rottenburg das Waldhorn, in Stuttgart das Atelier am Bollwerk. Eröffnung in Tübingen ist am Mittwoch, 30. Oktober, um 19.30 Uhr im Kino Museum mit dem Film »En fanfare - Die leisen und die großen Töne«, moderiert von Stefanie Schneider. Die Veranstaltung wird live ins Kamino nach Reutlingen übertragen. Preisverleihung ist im Tübinger Museum am 6. November um 19 Uhr, in Reutlingen am 5. November um 20.15 Uhr (Reutlinger Publikumspreis). Das komplette Festivalprogramm findet man auf der Filmtage-Homepage. (GEA)
https://franzoesische.filmtage-tuebingen.de/
Interim im Ehrenamt. Zusätzlich hat man mit Hasan Ugur auch noch den Programmmanager verloren, ans Reutlinger Kamino, »was wir ihm alle von Herzen gönnen«, so Schneider. Dafür hat man Florian Bauer neu in die Programmkommission geholt. Alle machen das neben dem Hauptberuf, was »gut geht«, so Schneider: »Wir haben einen guten Teamspirit.« Was aber nur für ein Jahr machbar ist: So ein Festival, das größte französischsprachige in Deutschland, »ist schon ein Brett«. Aber als »eine Art Häutung« sei das auch mal heilsam.
Weniger Orte und Filme
Weniger Filme und Locations. Einiges will man anders machen. So gibt es in Tübingen weniger Orte - schon weil das Arsenal weggefallen ist. Und weniger Filme, die dafür jedoch mehrfach gezeigt werden. So habe das Publikum eher die Chance, »durchzukommen«, so Bärbel Mauch. Und wer von einem Film begeistert ist, habe die Chance, seinen Freunden eine weitere Vorstellung zu empfehlen. Wichtig wie schon Buchholz ist den Interimsmacher die Nachwuchsförderung. Mehrere Vorführungen für Schulklassen, auch im Reutlinger Planie-Kino, sind längst ausgebucht. Die Festival-Begleitung für die Sozialen Medien hat man diesmal Medienstudierenden nicht der Tübinger, sondern der Stuttgarter Universität anvertraut.
Start mit Wohlfühlfilm. Zur Eröffnung am 30. Oktober im Kino Museum (Schneider appellierte für maximal glamouröse Garderobe) gibt's das humorige Musikdrama »En fanfare - Die leisen und die großen Töne« von Emmanuel Courcol. Stardirigent Thibaut hat Leukämie und braucht einen Stammzellspender - bei der Gelegenheit erfährt er, dass er adoptiert wurde. Auf der Suche nach leiblichen Verwandten stößt er auf seinen jüngeren Bruder Jimmy in Nordfrankreich, der zu seinem Entsetzen in einer Dorfkapelle spielt. Mauch und Bauer sahen den Streifen beim Filmfest in Cannes - und beschlossen vom Fleck weg, ihn an den Festivalbeginn zu stellen.
Stadt und Land. Der Gegensatz von Stadt und Land, in Frankreich traditionell heftiger ausgeprägt, spielt auch in vielen anderen Filmen eine Rolle. Außerdem geht es oft um starke Frauen, Migration und das Thema Missbrauch. Insgesamt sind 51 Langfilme und drei Kurzfilmprogramme zu sehen. 36 der Filme sind mit deutschen Untertiteln versehen, die anderen mit englischen. Neben dem Wettbewerb gibt es noch die Reihe »Horizons«, den Fokus Afrika, eine Hommage an Marcel Pagnol mit zwei seiner Klassiker und mehrere Filme von Doku-Spezialist Nicolas Philibert, der Fesival-Ehrengast ist.
Zehn Filme im Wettbewerb
Wettbewerb. Zehn Filme konkurrieren im Wettbewerb um den Filmtage-Tübingen-Preis von 5.000 Euro, alles Erstlings- oder Zweitwerke junger Filmschaffender. Ein Verleihförderpreis wird erneut nicht vergeben, weil weiterhin von französischer Seite die Finanzierung fehlt. Der bisherige Sponsor Unifrance hatte sich 2023 zurückgezogen. Neben dem Hauptpreis wird in Tübingen, Reutlingen und Stuttgart je ein Publikumspreis mit 1.000 Euro vergeben. Im Rennen dafür sind die Wettbewerbsfilme sowie die Beiträge der Reihe »Horizons«. Einen weiteren Preis von 1.000 Euro vergibt in Tübingen eine deutsch-französische Jugendjury.
Fokus Afrika. Beim Afrika-Schwerpunkt geht es vor allem um Migration und Restitution, wie der Leiter der Reihe, Bernd Wolpert, erläuterte. Zu sehen ist unter anderem die Doku »Dahomey« über die Rückführung geraubter Kulturgüter aus Frankreich nach Benin, mit der Mati Diop bei der Berlinale den Goldenen Bären holte und nun ins Rennen um den Oscar geht. Das Thema Migration werde oft anders als erwartet aufgezogen, so Wolpert. So geht es in »Black Tea« von Abderrahmane Sissako um Auswanderung nicht nach Europa, sondern nach China. Zum ersten Mal mit Spielfilmen vertreten sind Somalia und die Kapverden.
Gesprächsrunden. Bei vielen Filmen sind Schauspieler oder Regisseure mit dabei, es darf diskutiert werden. Zu mehreren Podiumsgesprächen hat man Experten geladen. Am 5. November, 19 Uhr, analysiert der »Le Monde«-Journalist Thomas Wieder im Tübinger Weltethos-Institut die Lage in Frankreich. Am 3. November, 16 Uhr, läuft im Tübinger Stadtmuseum Kornhaus die Doku »Haiti - Worte gegen Kugeln« von Charles Emptaz über die desaströse Situation im Karibikstaat. Auskunft dazu gibt auf dem Podium die haitianische Aktivistin Claudette Coulanges.
Neuer »Apéro«-Treff
Festival sozial. Neu eingeführt wird ein täglicher »Apéro«-Treff. Vom 31. Oktober bis zum 6. November ist die Filmtagelobby jeweils von 17 bis 18 Uhr geöffnet und verkauft Getränke und Snacks. Bei Gesprächen soll man sich auf die Filme einstimmen können - um sie hinterher im Kino zu genießen. Insgesamt ist den Interimsmachern wichtig, das Festival auch als soziales Ereignis zu feiern. Dafür sollen auch Partys sorgen, deren Termine man auf der Festivalhomepage findet.
Filmkonzert. Auch das bewährte »Cinéconcert« gibt es wieder, am 31. Oktober um 20 Uhr im Tübinger Sparkassen-Carré. Die Stummfilm-Liebeskomödie »Adieu Mascotte« von Wilhelm Thiele von 1929 begleiten die Tübinger Improvisationsexperten von Mandala Movie. (GEA)