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Frankfurt zeigt die Musiktheater-Raritäten »Guercœur« und »Die Zauberin«

Albéric Magnards »Guercœur« und Tschaikowskys »Die Zauberin« werden nur äußerst selten aufgeführt. Jetzt sind sie an der Oper Frankfurt als spannende Politthriller zu sehen.

Szenen einer Ehe: Elena Manistina als Fürstin und Iain MacNeil als Fürst  in Tschaikowskys »Die Zauberin«.
Szenen einer Ehe: Elena Manistina als Fürstin und Iain MacNeil als Fürst in Tschaikowskys »Die Zauberin«. Foto: Barbara Aumüller
Szenen einer Ehe: Elena Manistina als Fürstin und Iain MacNeil als Fürst in Tschaikowskys »Die Zauberin«.
Foto: Barbara Aumüller

FRANKFURT. Welche Vision! Auf dem Höhepunkt der Affäre Dreyfus beginnt der Komponist Albéric Magnard mit seinem außergewöhnlichen Bühnenstück »Guercœur«. Als linksliberaler Republikaner litt er unter den Umtrieben monarchistisch-antisemitischer Kreise, welche die Aufklärung des Justizskandals mit all den falschen Beschuldigungen und fingierten Beweisen, »Fake News« würde man heute sagen, hintertrieben.

Worum es in dieser Oper geht? Um Esoterik jedenfalls nicht, wenngleich der erste und der letzte Akt im Himmel spielen. Dort hadert der Titelheld Guercœur, vor seinem Ableben einflussreicher Anführer des linken Lagers, sein politisches Werk nicht vollendet haben zu können. Weswegen er darum bittet, wenigstens für einen Tag auf die Erde zurückkehren zu dürfen, um die von ihm begonnene Befreiung von Sklaverei und Tyrannei abschließend herbeizuführen.

Sehnsucht nach dem Tyrannen

Kaum aber ist er unter den Lebenden zurück, muss er erkennen, dass sich in der Zwischenzeit alles, woran er glaubte, ins Gegenteil verkehrt hat. Seine geliebte Frau Giselle ließ sich mit Heurtal, seinem einstigen Assistenten, ein. Der bewohnt nicht nur das frühere gemeinsame Haus, sondern verhöhnt und pervertiert die liberaldemokratischen Ideale seines Mentors. Das tumbe Volk sehnt sich nach einem »guten Tyrannen« und ruft Heurtal zum Diktator aus. Was Guercœur in einer Parlamentssitzung noch zu verhindern versucht. Doch die Abgeordneten prügeln ihn zu Tode und machen aus dem Plenarsaal Kleinholz. Die Himmelsgöttinnen nehmen ihn wieder auf, in ihrem Abgesang immerhin von Hoffnung für die menschliche Gesellschaft in ferner Zeit kündend.

Erschütternde Aktualität

Ist seiner Frankfurter Inszenierung zeigt Regisseur David Hermann Magnards Bühnenwerk als unter die Haut gehende Parabel von erschütternder Aktualität. Weckt Assoziationen zu Trumps Regierungsgebaren, ohne dabei plumpe Eins-zu-eins-Übertragungen vorzunehmen. Vergleichbar arbeitet sein Kollege Vasily Barkhatov in Tschaikowskys »Die Zauberin«. Die keine Magierin aus dem Märchenbuch ist, sondern eine faszinierende Frau, die ihre Umgebung, speziell die Männer, bezaubert. Darunter auch ihren Fürsten.

Andere irritiert sie aufgrund ihrer Freigeistigkeit. Weswegen die Kirche sie bespitzelt. Auch die Fürstin spioniert ihr hinterher, argwöhnt die Untreue ihres Mannes. Zu allem Überfluss verliebt sich noch beider Sohn Juri, von seiner Mutter zur Ermordung der Nebenbuhlerin angesetzt, in Nastasja. Was die Eifersucht seines Vaters erweckt, der Nastasja mit Gewalt zwingen will. Vergeblich. Weshalb er, dem Wahn verfallend, erst Sohn und Frau, dann sich selbst tötet. Nach dem zuvor die Fürstin die vermeintliche »Zauberin« mit Gift aus der Welt geschafft hat.

Familiendrama und Politthriller

Tschaikowsky ging es mit diesem in einer politischen Führungsebene angesiedelten Familiendrama, welches von Vasily Barkhatov geradezu atemstockend über die gut dreistündige Spieldauer hin inszeniert worden ist, um Kritik am zaristischen Spitzelstaat und dessen Unterdrückungsmechanismen im Verbund mit der orthodoxen Kirche. Barkhatov nimmt dies auf, inszeniert einen packenden Politthriller, der Putins Ungeist mit eindrücklichen Vergleichen spürbar werden lässt, ohne dabei platt zu parallelisieren. Messerscharf zeichnet er die neurotische Familienkonstellation in den rasant wechselnden, clippingartigen Bühnenbildern von Christian Schmidt nach.

Herausragend agiert Takeshi Moriuchi am Dirigentenpult beider Aufführungen. Balanciert mit vortrefflichem Gespür Magnards nuanciert abgestuften Farbenreichtum mit den raffiniert ins symphonische Orchestergeschehen eingebetteten Singstimmen. Und lässt genauso die typischen Tschaikowsky-Idiome Gestalt annehmen mit ihren aufpeitschenden Tanzrhythmen oder der sich ins Tieftraurige verlierenden Melancholie.

Aufführungsinfo

Folgeaufführungen von »Guercœur« sind am 1. und 8. März, von »Die Zauberin« am 9. und 14. März.
https://oper-frankfurt.de/de/spielplan

In »Guercœur« beeindrucken der heldenbaritonale Domen Križaj in der Titelpartie, der höhensichere Tenor AJ Glueckert als Heurtal und Claudia Mahnke als ausdrucksstarke Giselle. Als Tschaikowskys »Zauberin« setzt Nombulelo Yende ihr hochdramatisches Potenzial differenziert ein, gibt Gerard Schneider feurig den Juri, zeichnet Elena Manistina mit zahlreichen Schattierungen die zwischen Wut und Verzweiflung getriebene Fürstin nach und lässt Iain MacNeil mächtig die Partie des Fürsten ertönen. Einmal wieder behauptet sich die Oper Frankfurt als künstlerischer Kristallisationspunkt für intellektuell-politisches Musiktheater. (GEA)