Logo
Aktuell Ausstellung

Flucht damals und heute: Dieter Mammel stellt im DZM in Ulm aus

Er ist in Reutlingen aufgewachsen, lebt heute in Berlin, und seine Familie hat selbst Fluchterfahrung: Im Donauschwäbischen Zentralmuseum Ulm (DZM) verbindet der Maler Dieter Mammel von 16. Mai an das Schicksal heutiger Geflüchteter mit dem seiner Vorfahren. Schüler aus Oferdingen leisten ihren Beitrag dazu.

Hinter dem Zaun die Hoffnung: Eines der Motive aus Dieter Mammels Ausstellung »Lifeline« zu Flucht und Vertreibung.
Hinter dem Zaun die Hoffnung: Eines der Motive aus Dieter Mammels Ausstellung »Lifeline« zu Flucht und Vertreibung. Foto: Dieter Mammel
Hinter dem Zaun die Hoffnung: Eines der Motive aus Dieter Mammels Ausstellung »Lifeline« zu Flucht und Vertreibung.
Foto: Dieter Mammel

ULM/REUTLINGEN. Signalgelb vor tiefschwarzem Grund klettert die junge Frau über den Zaun, wie angestrahlt von einem Suchscheinwerfer. Die obere Kante hat sie bereits erreicht. Ein Schwung noch und sie ist drüben. Was wird sie dort erwarten? Sicherheit? Freiheit? Ein neues Leben?

Die Szene mit der jungen Frau am Grenzzaun ist eines der Motive von Dieter Mammel in seiner neuen Ausstellung »Lifeline«, die am 15. Mai im Donauschwäbischen Zentralmuseum (DZM) in Ulm eröffnet. Der in Reutlingen aufgewachsene Künstler, der in Berlin lebt, begibt sich damit auf eine Spurensuche der heutigen Fluchtthematik genauso wie nach seinen Wurzeln. Denn seine Großmutter flüchtete im Zweiten Weltkrieg von Rumänien nach Serbien, wo sie Mammels Mutter zur Welt brachte, und dann mit dem Kind weiter nach Österreich und Deutschland.

Fluchtroute nachvollzogen

Mit seinem »Lifeline«-Projekt hat Mammel diese Fluchtroute nachvollzogen. Als erstes zeigte er seine Bilder zum Thema von Mai bis August 2024 im Nationalmuseum Temeswar (Timisoara), dann von September 2024 an mehrere Wochen im serbischen Pancevo bei Belgrad. Nun also im Donauschwäbischen Zentralmuseum. Im Gegensatz zu den vorherigen Stationen wird Mammel hier auch zwei Dokumentarfilme zeigen, in denen er Flüchtlingskinder heutiger Tage zu Wort kommen lässt.

Alltag und Krieg in Überblendung: Eines der Bilder von Mammel zum Zweiten Weltkrieg in seiner Ausstellung.
Alltag und Krieg in Überblendung: Eines der Bilder von Mammel zum Zweiten Weltkrieg in seiner Ausstellung. Foto: Dieter Mammel
Alltag und Krieg in Überblendung: Eines der Bilder von Mammel zum Zweiten Weltkrieg in seiner Ausstellung.
Foto: Dieter Mammel

Auch in den Bildern schlägt er den Bogen zwischen Flüchtlingserfahrungen verschiedener Generationen. Auf seinen riesenhaften Malereien taucht er ein in die Zeit, als viele Deutschstämmige in Rumänien, Ungarn und Serbien als Reaktion auf die Aggressionspolitik der Nationalsozialisten vertrieben wurden. Es gebe kaum Fotografien von damals, erzählt Mammel. Viele der Motive beruhen daher auf Erinnerungen – erzählt beispielsweise von seiner Großmutter, zu der er immer eine enge Beziehung hatte.

Spezielle Maltechnik

Das Traumartige dieser Erinnerungen schlägt sich in der besonderen Maltechnik nieder: Mammel legt riesige Leinwände auf den Boden, tränkt sie mit Wasser und malt mit Tuschefarben auf dem nassen Stoff. Die Motive wirken einerseits verblüffend lebensecht; andererseits durch die enorme Vergrößerung und die zerfließenden Farben auch wie schon wieder verblassende Imaginationen.

Dieter Mammel trägt in seinem Atelier eines seiner riesenhaften Bildformate.
Dieter Mammel trägt in seinem Atelier eines seiner riesenhaften Bildformate. Foto: Dieter Mammel
Dieter Mammel trägt in seinem Atelier eines seiner riesenhaften Bildformate.
Foto: Dieter Mammel

Auch mit der Fluchtthematik der Gegenwart wurde Mammel bereits direkt konfrontiert. Beim Flug von Istanbul, wo er oft arbeitet, nach Bodrum hatte er mit seiner Frau Claudia Schick, einer ARD-Journalistin, einen Zwischenstopp auf der griechischen Insel Kos – just in dem Moment, als dort eine Welle syrischer Flüchtlinge in Schlauchbooten strandete. Als guter Schwimmer habe er geholfen, die Menschen aus den Booten ans Ufer zu holen. Auch bei der Verteilung von Lebensmitteln habe er mitgeholfen.

Arbeit mit Flüchtlingskindern

»Als wir wieder in Berlin waren, habe ich gesagt, wenn die hier in Deutschland ankommen, werde ich denen helfen«, erzählt der Künstler. Sie kamen tatsächlich, und Mammel arbeitete in drei verschiedenen Flüchtlingseinrichtungen, nicht zuletzt mit Kindern aus Syrien und Afghanistan. Weil diese kein Deutsch oder Englisch sprachen und er kein Arabisch, animierte er die Kinder, ihre Fluchtgeschichten zu zeichnen. Über 200 Zeichnungen kamen zusammen, die in einer großen Ausstellung im Berliner Dom gezeigt wurden, später im Weltkulturmuseum in Frankfurt.

Ausstellungsinfo

Die Ausstellung »Lifeline« mit Malerei und zwei Dokumentarfilmen von Dieter Mammel ist von 16. Mai 2025 bis 18. Januar 2026 im Donauschwäbischen Zentralmuseum in Ulm (Schillerstraße 1) zu sehen. Eröffnung ist am Donnerstag, 15. Mai, um 19 Uhr. Geöffnet ist Dienstag bis Freitag 11 bis 17 Uhr, Samstag, Sonn- und Feiertage 10 bis 18 Uhr. (GEA)
www.dzm-museum.de

Es war diese Konfrontation mit der Fluchtthematik der Gegenwart, die Mammel anregte, sich mit der Fluchtgeschichte seiner eigenen Familie zu beschäftigen. Die Ausstellung verbindet beide Schichten. Damals wie heute geht es um die Erfahrung von Gewalt und Heimatverlust und um die Hoffnung auf einen Neubeginn woanders. Um das zu unterstreichen, lässt Mammel für die Zeit der Ausstellung auf die Wiese vor dem Museum ein Flüchtlingszelt stellen. Dort steht das Zelt neben einer »Ulmer Schachtel« – einem Exemplar jenes einfachen Bootstyps, mit dem im 17. und 18. Jahrhundert deutsche Auswanderer donauabwärts reisten, um sich im Osten des Habsburgerreichs niederzulassen, im heutigen Ungarn, Rumänien oder Serbien. Mithin die Vorfahren jener Vertriebenen, die am Ende des Zweiten Weltkriegs den umgekehrten Weg nahmen, darunter auch Mammels Großmutter.

Oferdingen eingebunden

Weil er in Oferdingen aufgewachsen ist, fragte Mammel an, ob nicht Schüler der dortigen Grundschule den Flüchtlingspavillon bemalen wollten. So ist nun auch die Herkunftsregion von Mammel in das Projekt mit eingebunden (siehe Bericht im Lokalteil).

Ein Flüchtlingsjunge auf einem der Bilder von Dieter Mammel in seiner Ausstellung.
Ein Flüchtlingsjunge auf einem der Bilder von Dieter Mammel in seiner Ausstellung. Foto: Dieter Mammel
Ein Flüchtlingsjunge auf einem der Bilder von Dieter Mammel in seiner Ausstellung.
Foto: Dieter Mammel

Für die Familie von Dieter Mammel hat sich die Hoffnung auf einen Neuanfang erfüllt. Der Maler ist heute eine anerkannte Kunstgröße und mit seinen Arbeiten in großen Museen vertreten, auch im Kunstmuseum Reutlingen. Zu einigen der Flüchtlingsfamilien, die er in den vergangenen Jahren kennenlernte, hat er noch heute Kontakt. Einen Flüchtlingsjungen hat er auf einem Bild großformatig verewigt. Er steigt nicht nachts über einen Zaun, sondern spiegelt sich bei Tageslicht im Wasser, in das er nachdenklich blickt. Bleibt zu hoffen, dass seine Träume in Erfüllung gehen. (GEA)