STUTTGART. Viele Alt-Gothic-Fans aus dem Stuttgarter Speckgürtel sind am Montagabend in die Hanns-Martin-Schleyerhalle gekommen. Ledermäntel wurden entstaubt, Füße in DocMartens gezwängt, Haare hochtupiert und Fingernägel lackiert. Das alles zu Recht, denn The Cure, die Götter des Wave, Goth und Post-Punk, spielten in Stuttgart.
Allumfassend und präsent ist an diesem Abend natürlich Robert Smith, der Mastermind, der Sänger und Texter der Band. Smith kommt als Letzter auf die Bühne und sagt erstmal gar nichts, er singt auch nicht. Seine Band spielt den Song »Alone«. Minutenlang läuft Smith dazu auf der Bühne hin und her, lächelt und versucht, allen in der ersten Reihe einzeln in die Augen schauen. Alles ist da, seine graue Vogelnestfrisur, der rote Lippenstift, die verschmierte Mascara und die schwarzen, hautengen Jeans.
»Stuttgart, I can’t remember the last we were here«, ruft Smith. »Six years!«, schreit jemand aus der ersten Reihe. »Oh really«, antwortet Smith. Viel mehr wird er an diesem Abend nicht sagen. Muss er auch nicht, er hat ja seine Songtexte. Smith nimmt sich seine Gitarre und spielt das Lied, bei dem jeder sofort irgendjemand vermisst. Den Über-Song »Pictures Of You« vom Über-Album »Disintegration« aus dem Jahr 1989.
The Cure haben seit 2008 kein Album mehr veröffentlicht. Das ist total okay, denn mehr Hits hätten in die 150 Minuten lange Show nicht gepasst. »Lullaby«, »Close To Me«, »A Forest«, »Just Like Heaven«, natürlich der Schlussmach-Song »Boys Don’t Cry« und der Wochenend-Song »Friday, I’m In Love«, der Smith einfiel, als er sich vornahm, mal nichts Trauriges zu schreiben. Ob ihm das in Zukunft gelingt, wird die Welt bald herausfinden. Anfang 2023 soll mit »Songs Of A Lost World« nach 15 Jahren wieder ein Studioalbum von The Cure erscheinen.
Es gibt in Stuttgart wenige, die Smiths Texte mitschreien, das Konzert ist eher ein flauschiges Wiegen. So, als wären die Menschen ganz angefasst, dass The Cure da wirklich stehen. Als wären sie vorsichtig und wollten Smith, diesen schüchternen Mann, nicht verschrecken, sodass er noch ein bisschen bei ihnen bleibt.
Ein bisschen was von dieser Cure-Intimität geht in der riesigen Schleyerhalle verloren. Die Halle hat einen der größten Innenräume Europas, da schafft es selbst Smith nicht, alle zu erreichen. The Cure machen so intime Musik, dass sie eigentlich in einer kleineren Location spielen sollten. Aber was soll man tun, wenn man mit Intimität so berühmt geworden ist, dass intime Hallen nicht ausreichen?
Smith schreibt eben Songs über Einsamkeit, die so gut sind, dass sie die Massen anziehen. Es gibt wenige Bands, die seit 46 Jahren zusammen sind und noch immer zweieinhalb Stunden ohne Pause mit zwei Zugaben spielen.
Jetzt soll es dann ja neue Songs geben, Anfang 2023. Man kann gespannt sein, was The Cure in Zeiten der Klimakrise, des Krieges und der Pandemie für Lieder veröffentlichen. Das Cover von »Songs Of A Lost World« gibt es schon. Es zeigt viele Smiley-Gesichter auf lilafarbenem Grund. Vielleicht schreibt Robert Smith ja noch ein paar traurig-schöne Lieder. Es gibt gerade sicher viele Menschen, die das gut brauchen könnten. (GEA)