Doch die ging auf. Erst hob die inklusive Band Inkluba aus Gaggenau mit herzhaft gesungenen Schlagern die Stimmung. Dann übernahmen die Stimm-Profis Patrick Bopp und Sanna Valvanne. Und schon bald füllten knapp tausend Singwillige Reutlingens viel zu selten auf solche Weise belebte »Zentral-Arena«.
Die in New York lebende Finnin Valvanne war dabei die Frau für die lustigen Experimente. Sie übte mit ihrem aus Menschen mit und ohne Handicap gemischten Publikum auf dem Platz etwa ein afrikanisches oder ein australisches Lied ein. Oder auch einen »Joik«, einen jodlerartigen Gesang der Nordsamen. Immer verbunden mit Schritten, Stampfen, Armgesten - da kam Bewegung auf!
Patrick Bopp vom Stuttgarter A-cappella-Quintett Füenf war hingegen mit seiner engagiert mitsingenden Band (Bass: Dirk Blümlein, Schlagzeug: Till Müller-Kray) der Mann für die mit Inbrunst gesungenen Schlager. »Country Road muss richtig schleimig klingen«, forderte er. Und Udo Jürgens' »Ich war noch niemals in New York« könne »ruhig noch selbstverliebter« ausfallen. »An dieser Stelle müsst ihr den Opernsänger geben, egal, ob's richtig ist - Hauptsache es macht Spaß!«
Sanna wird zu Pippi Langstrumpf
Natürlich machte es Spaß! Erst recht, als Bopp die Schar auf dem Marktplatz zum Dudelsack-Orchester erklärte und seine Kollegin Sanna Valvanne zu Pippi Langstrumpf. Das ließ sich die kesse Finnin nicht zweimal sagen und schmetterte über die vom Publikum gesummte Dudelsack-Begleitung das Pippi-Langstrumpf-Lied - original auf Schwedisch!Zwischendurch hatte der Tübinger Gebärdenchor Sign Singers einen mitreißenden Auftritt unter der Leitung von Rita Mohlau. Da durften sich die Besucher auf dem Platz auch mal im »Gebärdensingen« zu Louis Armstrongs »Wonderful World« versuchen. Später improvisierte Sanna Valvanne mit dem Publikum Wind- und Wald- und Tiergeräusche und ließ es in den Refrain von Alicia Keys' »We Are Here« einstimmen. Verblüffend, wie Patrick Bopp das Publikum immer wieder zu zwei- und dreistimmigen Interpretationen animierte - etwa in Leonard Cohens »Hallelujah«. Wobei er und Valvanne ein begeisterndes Duett hinlegten. Mit Michael Jacksons »We Are The World« neigte sich die Mitsingaktion ihrem Ende zu - bei immer noch trockenem Wetter.
Apropos »We Are The World«: Eine Woche lang war der inklusive Gedanke tatsächlich in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Über 6 000 Besucher hatten an mehr als 70 Veranstaltungen in franz.K, Spitalhof, Festivalzelt im Bürgerpark, in der Altstadt, im Kamino und an vielen anderen Orten teilgenommen. Rund 600 Interessierte hatten die zehn Workshops und weitere Mitmach-Aktionen belebt, das Schluss-Singen noch gar nicht mitgezählt. Rund 100 Helfer sorgten für reibungslosen Ablauf. Insgesamt war die Festivalwoche sehr gut gelaufen - umso glücklicher waren die Organisatoren, dass auch das finale Mitsing-Event eine richtig runde Sache wurde: so begeisternd, fröhlich und unbeschwert im Miteinander wie das ganze Festival.
Damit wäre das diesjährige »Kultur vom Rande« buchstäblich ausgeklungen. Auf ein nächstes Festival in drei Jahren wollten sich Henes und Braun zunächst noch nicht festklopfen lassen. Doch wenn man erlebt hat, wie energisch Elisabeth Braun die Stadt im Hinblick auf zukünftige »Kultur vom Rande«-Anstrengungen in die Pflicht nahm, darf man optimistisch sein, dass es nicht die letzte Ausgabe war.