REUTLINGEN. Der Film »Drei Haselnüsse für Aschenbrödel«, für viele in der Weihnachtszeit heute so unverzichtbar wie die Geschenke (und vielleicht noch der BBC-Fernsehfilm »Der kleine Lord« von 1980), sollte eigentlich im Sommer spielen; die Deutsche Film AG (Defa) in der DDR drängte aber darauf, im Winter zu drehen, da ihre Arbeiter im Sommer schon ausgelastet waren. Aus heutiger Sicht mutet das wie ein Glücksfall an, denn die traumhafte Winterlandschaft trägt ganz wesentlich zum Reiz dieses tschechoslowakisch-deutschen Märchenfilms von Regisseur Václav Vorlícek aus dem Jahr 1973 bei. Genau wie die Musik des tschechischen Komponisten Karel Svoboda (1938-2007). Die am Donnerstagabend in der ausverkauften Reutlinger Stadthalle - synchron zum Film - live gespielt von der Württembergischen Philharmonie Reutlingen zu hören war. Ein begeistertes Publikum erklatschte sich zwei Zugaben.
Schon während auf der Großleinwand hinter dem Orchester der Vorspann läuft, stellt sich dieses wohlige Gefühl ein, das sich mit der Musik, die viele aus ihrer Kindheit kennen, verbindet. Und noch bevor Aschenbrödel (Libuše Šafránková), dieser gleichermaßen unsichere wie rebellische und selbstbewusste weibliche Underdog, mit List, Witz und drei Zaubernüssen Magie und einen Prinzen (Pavel Trávnícek) in ihr Leben holt, hat man auch schon angefangen, sich mit ihr zu identifizieren, und mit ihr das Träumen begonnen.
Mit Untertiteln
Das Orchester ist gut gerüstet, zeigt eine Fassung des Films, in der Untertitel die gesprochenen Dialoge ergänzen. Was es erlaubt, musikalisch auch mal richtig aufzudrehen, ohne dass Worte verloren gehen. Macht doch der Wortwitz - etwa auch zwischen der Königin und dem König - den Zauber erst rund.
Schön, wie differenziert Svoboda die Welten zeichnet. Ein nimmermüdes Walzerkreiseln verbindet sich mit einer Sehnsuchtsmelodie, auf die eine Sängerin eine Vokalise legt (in der tschechischen Filmversion hört man Karel Gott einen Text singen). Nur in kurzen Momenten verfinstert sich dieses Sehnsuchtsvolle und Schwärmerisch-Leichte von Dur zu Moll. Ansonsten klingt es - als seien es die Schneekristalle selbst - glockenhell. Oder auch mal geheimnisvoll-raunend. Es flirrt im Raum, wenn die Tauben für Aschenbrödel die Arbeit übernehmen. Selbst das freundlich-aufmunternde Blinzeln der Eule ist im Orchester zu hören.
Groteske Klänge
Wenn Aschenbrödels Stiefmutter ihr Gift versprüht beziehungsweise ihre Pläne ausheckt, bekommen die Klänge etwas Kalt-Unheilvolles mit scharfen Kontrasten. Im Moment, in dem sie sich nach einem selbstverschuldeten Schlittenunfall im Weiher wiederfindet, etwas Groteskes.
Da das Orchester in der Reutlinger Stadthalle im Dunkeln sitzt, erspäht man nur zum Teil, wer da unter Adrian Prabavas aufmerksamer Leitung gerade spielt. Blockflöten sorgen für höfische Grazie, das Blech für Pomp. Die Hörner begleiten die Jagd. Doch ist auch Raum für parodistische Hoftänze, haftet dem Marsch etwas Subversives an. Am schönsten ist es aber, wenn die Württembergische Philharmonie das durch die verschneite Winterlandschaft reitende Aschenbrödel, das es ablehnt, ein »Hühnchen ohne Federn« zu sein (wie ein Begleiter des Prinzen spottet), klanglich in Watte packt.
Nüsse aus einem Vogelnest
Bemerkenswert im Film ist übrigens, dass der Prinz die magischen Haselnüsse vom Baum schießt (sie stecken in einem Vogelnest), die Aschenbrödel und ihn zusammenbringen. Und dass sie es ist, die ihn immer wieder zu Reaktionen herausfordert. In der Schlusssequenz strebt sie deutlich vor ihm reitend dem Horizont zu. (GEA)