STUTTGART. Spektakulär: Am Ende landet auch noch ein Ufo mitten im Getümmel auf der Bühne der Stuttgarter Staatsoper, wo jetzt Bertolt Brechts und Paul Dessaus Oper »Die Verurteilung des Lukullus« Premiere hatte. Das Ufo wird sich später – wenn sich die über hundert Mitwirkenden verbeugen – mit viel Düsensausen wieder in die Lüfte erheben und verschwinden.
Ein witziges Detail, zweifellos. Eine Stimme zwar aus der Zukunft, aber auch eine Reminiszenz ans antike Drama, das den Deus ex machina erfand, der immer dann auftauchte, wenn der Konflikt nicht mehr anders zu lösen war als durch eine höhere Macht. Lukullus, der römische Feldherr, der sich im Hades vor Gericht für seine kriegerische Vergangenheit verantworten muss, nimmt diese Fluchtmöglichkeit aber nicht wahr, sondern labt sich lieber an den großen Brüsten, die an der Unterseite des Ufos wie fette Euter hängen. Vor der Verbannung »ins Nichts« lieber noch mal schlemmen.
Derweil steht das Ufo für die grenzenlose Assoziationsfreudigkeit des fünfköpfigen Produktionsteams um die Regisseurinnen Franziska Kronfoth und Julia Lwowski, die mit ihrem Theaterkollektiv Hauen und Stechen für den Abend verantwortlich sind. Viele Menschen haben viele Ideen. So wird »Lukullus« zum opulenten Bühnen-, Bilder- und Symbol-Spektakel: unübersichtlich, visuell überfordernd, was laut Programmheft so gewollt ist. Man will das Publikum wachhalten, ohne zu bedenken, dass eine Überforderung auch ermüden kann.
Kameraverfolgung im Foyer
Munter bedient man sich aller möglichen ästhetischen Spielarten, bezieht per Kameraverfolgung auch das Foyer mit ein. Alles beginnt mit einer skurrilen Trauergemeinde, die draußen jammernd aufmarschiert, um den zu Lebzeiten hochangesehenen Lukullus auf der Bühne mit viel Pomp zu Grabe zu tragen.
Ab Lukullus’ Ankunft im Hades, wo jene Menschen als Zeugen für sein Leben antreten, denen seine kriegerischen Handlungen Tod und Verderben gebracht haben, herrscht Wimmelbild-Fieber. Dafür sorgen Staatsopernchor samt Kinderchor – wie immer formidabel vorbereitet – und zusätzliche Statisten: humpelnde und zuckende Gestalten, Soldaterie mit Rosen in den Gewehrläufen, Menschen ohne Gesicht mit grünen Boxhandschuhen, eine sehr lebendige Freiheitsstatue, ein schrilles Damentrio mit ondulierten Hochfrisuren, ein Knochenmann als Koch, der in die Suppenterrine die eigenen Gliedmaßen hineinstückelt und so weiter. Das Bühnenbild deutet ein Strafgefangenlager mit Wachtürmen an, mittig ein steiniger Hügel, auf dem der Totenrichter (Simon Bailey) Platz genommen hat. Um ihn herum kringeln sich die Schöffen als rote Maden verkleidet. Dazu Videowände, um deutlich zu machen, dass Lukullus eine überzeitliche Figur ist: mit Filmausschnitten vom Abtragen des Lenindenkmals in Berlin-Friedrichshain, von Kulturrevolutionen, Studentenrevolten, rückwärts gespielte Clips von einstürzenden Hochbauten, alles gemischt mit Aufnahmen der Bühnen-Kamera.
Alles schrill, überdreht, oft an Comicstrips erinnernd, in poppigen Farben. Statt in Schuhen stecken Lukullus’ Füße in riesigen, orangenen, bommelartigen Behältnissen. Sieht halt lustig aus. Dass er zwischendurch die Bühne ins Foyer verlässt und dort ein großes Bier kippt, sei’s drum. Willkür sei Dank, kommt dann auch noch ein Kellner in den Saal und verteilt ein paar Maße ans Publikum.
Brecht schrieb den »Lukullus« noch im schwedischen Exil mit der Schriftstellerin Margarete Steffin, zunächst als Hörspiel. Die Oper entstand später in enger Zusammenarbeit mit dem Komponisten Paul Dessau und wurde 1951 in Ost-Berlin uraufgeführt – vom Publikum gefeiert, von SED-Funktionären misstrauisch beäugt, die in der avantgardistischen Musik Dessaus »Formalismus« witterten. Ein Vorwurf, den Künstler und Künstlerinnen in der stalinistischen Sowjetunion oft genug mit dem Leben bezahlten.
Kritik am Krieg verliert Schärfe
Brechts deutlich formulierte Parabel gegen den Krieg verliert im Stuttgarter Opernspektakel an Schärfe. Das Wesen des Werks ist, wenn man es genau nimmt, eher oratorien- als opernhaft. Vor allem überdeckt das Ausstattungs- und Bebilderungsbrimborium viel der Wirkung der Musik Dessaus, die sich fast keine Sinnlichkeit gönnt, sich anti-bürgerlich und anti-spätromantisch gibt. Das Orchester arbeitet meist mit klanglich kargen Mitteln, mal hart, kalt und militärisch, mit schrillen Blechbläserfanfaren und unter Einsatz von zehn (!) Schlagwerk-Spielern und zwei präparierten Klavieren; dann wieder sehr fragil, entbeint bis auf eine einzige Stimme. Musik auf jeden Fall, die Luft auf der Bühne einfordert, auch mehr Bewegung. Die Besetzung ist so interessant, dass es wirklich schade ist, dass das Orchester, geleitet vom Altmeister für Neue Musik Bernhard Kontarsky, im Graben verschwindet, unsichtbar bleibt.
Gegen die Emotionalität der bürgerlichen Oper, ihre »Kulinarik«, gerichtet, hielt Dessau auch die 18 Solopartien melodisch schmucklos, bevorzugt im Sprechgesang. Die seltenen ariosen Ausbrüche sind meist parodistisch gemeint, etwa wenn die Königin (Alina Adamski) Koloraturen zu bewältigen hat. Einzig in der Klage des Fischweibs über den Tod ihres Sohnes lässt Dessau ein bisschen Gefühligkeit zu. Maria Theresa Ullrich singt das berührend schön.
Vor allem Lukullus als Abziehbild eines Heldentenors muss sich stimmlich ins Zeug legen. Das macht Gerhard Siegel formidabel: diese musikalische Darstellung eines unter Dauerdruck stehenden, vom Rechtfertigungszwang völlig genervten Lukullus. Locker übertönt seine gestählt wirkende Stimme die ihn begleitenden Trompeten und Pauken. Ansonsten haben es einige der Solo-Singenden in zunehmendem Maß nicht ganz leicht, sich über den Orchestergraben hinweg durchzusetzen. Ohne Übertitel würde man kaum etwas vom Text verstehen.
Bleibt also das vage Gefühl, dass das Werk und seine szenische Umsetzung nicht wirklich miteinander harmonieren wollen. Auch wenn das Premieren-Publikum sich begeistert zeigte. (GEA)