REUTLINGEN. Es war wie bei anderen Konzerten der Württembergischen Philharmonie auch, nur intimer. Der große Saal des Theaters Die Tonne war proppenvoll und Tonne-Intendant Enrico Urbanek begrüßte das Publikum im Namen der Festivalleitung von Kultur vom Rande und der Projektpartner, zu denen neben dem Kulturzentrum franz.K und dem Kunstmuseum Reutlingen auch das Reutlinger Theater gehört.
Unkonventionelle Programmpunkte wie eine Improvisation des Profigeigers Matthias Buck mit Haydar Baydur vom inklusiven Ensemble der Tonne - hier am Klavier zu erleben - waren eingestreut. Das war substantiell nicht vergleichbar mit dem, was das Orchester mit dem Solisten Felix Klieser bot. Immerhin aber war gut zu erleben, wie feinnervig die beiden aufeinander achteten und reagierten.
Sensibles und elektrisierendes Spiel
Der aus Göttingen stammende Hornist Felix Klieser, 2014 mit dem Echo Klassik in der Kategorie »Nachwuchskünstler des Jahres« ausgezeichnet und Gewinner des Leonard Bernstein Award 2016, überzeugte nicht das erste Mal bei einem Auftritt in Reutlingen. Dass der Musiker, der ohne Arme zur Welt kam, sich eine spezielle Technik erarbeitet hat, die es ihm ermöglicht, die Ventile des Horns mit dem linken Fuß zu bedienen, war für viele nicht mehr neu. Umso mehr stand sein sensibles und elektrisierendes Spiel im Mittelpunkt des Interesses. Und wann kann man schon mal live zwei Hornkonzerte an einem Abend hören?
In Joseph Haydns Konzert Nr. 2 D-Dur ließ Klieser die lyrischen Gesangsszenen leuchten, vom Orchester unter der Leitung von David Preil, erster Kapellmeister am Landestheater Coburg, seelenvoll und mit verspielten Trillern begleitet. Auch die innig-beschwingten und resoluten Passagen saßen, genau wie die Kadenzen mit ihren großen Intervallsprüngen. In alledem war ein klarer Gestaltungswillen zu erkennen, in die Tat umgesetzt mit großer Stilsicherheit, auch aufseiten des Orchesters.
Strömender Wohllaut
Kliesers wandlungsfähiger Ton in Verbindung mit erzählerischer Dichte kam auch Wolfgang Amadeus Mozarts Hornkonzert Nr. 4 Es-Dur KV 495 zugute. Samtweich das Legato, locker tänzelnd die Stakkati. Schön, wie hier die Sechzehntelketten perlten, heitere Gelöstheit sich entfaltete, die Echoeffekte in einen längeren Atem, ein dynamisches Ganzes eingebunden waren. Neben der Fülle des Tons bezauberten die Wärme des Vortrags, der Esprit, der strömende Wohllaut, die markanten Betonungen beim temperamentvollen Galopp. Die Württembergische Philharmonie steuerte jenen beweglichen Mozart-Sound bei, der ihr gerade erst eine Nominierung für den Preis Opus Klassik eingebracht hat.
Auch als Buchautor war Klieser zu erleben, wobei der Schauspieler David Liske vom Tonne-Ensemble Auszüge aus »Stell dir vor, es geht nicht, und einer tut es doch« las, in dem Klieser sich erzählend Gedanken macht, wie man lernen kann, mehr zu können, als man denkt. Bei ihm waren es oft aufgeschnappte Sätze oder Begegnungen, die ihn in neue Richtungen denken ließen. Sätze wie die des Radprofis Erik Zabel, dass man aufs Glück »einprügeln« könne. »Chancen tarnen sich manchmal sehr gut«, gab Klieser zu bedenken.
Mit Geige und Ukulele
Dinge, die einen begrenzen, zu hinterfragen, mit Beharrlichkeit Neues auszuprobieren, neidlos von anderen zu lernen, dafür plädierte Klieser im Interview, das David Liske und sein Schauspielkollege Aaron Smith auf der Bühne mit ihm führten. Smith und Liske gaben solchen und anderen Gedanken auch musikalisch Raum, indem sie, von Liske auf der Ukulele und im ersten Fall zudem von Matthias Buck auf der Violine begleitet, Bob Dylans »Blowin’ in the Wind« und »Don't Think Twice, It's All Right« sangen. (GEA)