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Aktuell Literatur

Familienleben eines Autors

Vergnüglicher Abend mit Schriftsteller und Humorist Wladimir Kaminer im ausverkauften franz.K

Charmant-spitzbübisches Kaminer-Lächeln: Der Autor beim Signieren.  FOTO: WEIDLING
Charmant-spitzbübisches Kaminer-Lächeln: Der Autor beim Signieren. FOTO: WEIDLING
Charmant-spitzbübisches Kaminer-Lächeln: Der Autor beim Signieren. FOTO: WEIDLING

REUTLINGEN. Musik im Underground-Stil dröhnt aus den Boxen, dann tritt Wladimir Kaminer in einem glänzenden Jackett auf die Bühne. Die Klänge erinnern an sein Millennium-Erfolgswerk »Russendisko« und die gleichnamige Musikveranstaltung, die er damals ins Leben gerufen hatte. Eine Zeit, die den mittlerweile 52-Jährigen geprägt hat. Seine Lesung am Sonntag stand unter dem Titel »Liebeserklärungen«.

Viele der Gäste im ausverkauften franz.K wissen aber: Er wird mehr als die Neuerscheinung in petto haben, auch mal improvisieren, aus unveröffentlichten Manuskripten vorlesen und auf Zuschauerwünsche eingehen. Denn wie der Wahlberliner gleich zu Beginn abfragt, waren zahlreiche Gäste bereits vor zwei Jahren bei seiner Lesung in Reutlingen.

Scherzend meint er, ob es nicht zu viel werde mit den immer neuen Büchern. Das Publikum solle nicht denken, dass er jedes Jahr eines produziere. Dahinter stehe ein längerer Schaffens- und Entwicklungsprozess. Zwischendrin habe er auch eine Doku zum Thema »Heimatgefühle« gedreht. Die Doku »Kaminer Inside« entstand unter anderem in Wien, wo er auf ein Heer von Chinesen getroffen ist. Eigentlich dürfe man so was nicht sagen, aber sie hätten ihn beim wilden Fotografieren in den Rosengärten an Bienen erinnert. Bienen, die Blüten bestäuben.

Unentschlossener Sohn

Ein Witz reiht sich an den nächsten. Kaminer lässt dabei auch seine eigene Familie nicht aus. Seine Tochter zum Beispiel, sie studiere Europäische Philologie, er teilweise mit. Ihr Fazit: Alle Menschen sind Migranten, mal als Urlauber oder eben echte. Sein ständig philosophierender 20-jähriger Sohn wohne noch zu Hause und sei unentschlossen, was seine Zukunft anbelangt. Schließlich die Lösung: ein Praktikum in einer Werbeagentur. Dafür benötige er jedoch ein 3 000-Euro-Laptop, er bittet um väterliche Unterstützung.

Besonders amüsant sind die Anekdoten über Kaminers 88-jährige Mutter. Sie habe vom Enkel ein Smartphone geerbt und whatsappe seitdem fleißig mit Freundinnen in Russland. Allerdings gäbe es bei Spielen eine Kindersicherung. »Frag deine Eltern«, heißt es dann. Er hat aber das Passwort vergessen und müsse nun jedes Mal zustimmen. Verdrehte Rollen im digitalen Zeitalter.

Kaminer bietet viel Identifikationsmaterial, seine Geschichten sind voller Sprachwitz und Ironie. Er überträgt »Rotkäppchen« auf die heutige Zeit. Jugendliche, die zu sehr mir sich selbst beschäftigt sind, um ihre Oma zu besuchen. Obwohl diese extra in der Bäckerei »Harmonie« Marmorkuchen besorgt hat. Wahrscheinlich hätten Omas den Brüdern Grimm das Märchen ins Ohr geflüstert, sagt Kaminer lachend.

»Wollt ihr eine Schwabengeschichte hören?«, fragt er. Klar will das Publikum. Bei ihm daheim im Haus (im Viertel Prenzlauer Berg) wohnten Schwaben. Er habe sich erst an sie gewöhnen müssen, weil sie jede Bewegung der anderen haargenau registrierten. Dann passierte etwas, das ihn zutiefst rührte. Er bekam – wie immer unerwartet – russischen Besuch und die Schwaben halfen mit Kuchen und Brot aus. Seitdem hat er sie ins Herz geschlossen.

Internetdates und Liebestaktik

Zum Schreien komisch sind die Szenen aus »Liebeserklärungen«. Darin geht es um Internetdates und reale Beziehungskurse. Um die Beziehung anzuheizen, versteckt sich eine Frau splitternackt im Kleiderschrank des Hotelzimmers und wartet auf den Angebeteten. Vergeblich, denn der ist auswärts beim Fußballschauen versackt. Taktik hilft eben doch nicht immer. Kaminer selbst hat auch einiges erlebt. Dreimal sei er zu Hochzeiten eingeladen gewesen, die durch kuriose Umstände wieder abgesagt wurden.

Ob die Geschichten alle wahr sind, wollen die Kaminer-Fans bei der Signierstunde in der Pause wissen. Kaminer antwortet ausweichend. In seinem Viertel wachse die Zahl der Vietnamesen. Im Manuskript beschreibt er dann etwa eine Szene, die nicht im »Nepals Streetfood« spiele, sondern bereits beim Vietnamesen. Der Autor überzeichnet – wie für einen Satiriker üblich – die Wirklichkeit. Sein Input bleibt aber das wahre Leben. Somit gewährt er seinem Publikum mit Sicherheit auch Einblicke in sein Familienleben. (GEA)