REUTLINGEN. Der wichtigste Festtag für Fagottfans ist nicht Weihnachten, sondern der »Theotag«. Den gibt es nur, wenn die Konstellation günstig ist. Dabei muss nicht Jupiter im Aszendent stehen, sondern sich zwischen zwei Auftritten des jungen Fagottstars Theo Plath mit der Württembergischen Philharmonie eine Lücke auftun. So war es vor Jahren schon einmal, so war es nun wieder: Zwischen Plaths spektakulärer Vorstellung mit der WPR am Montagabend in Reutlingen und der Wiederholung am Mittwoch in Lahr klaffte ein freier Dienstag.
Solche Lücken füllt der 30-Jährige aus Koblenz, der eben frisch Professor an der Musikhochschule Frankfurt geworden ist, gern mit dem, was er außer Fagottspielen am liebsten tut: andere Fagottisten mit seinem Wissen unterstützen. Ehrenamtlich wohlgemerkt. WPR-Fagottistin Irene de Marco, die diese Workshops organisiert, hat das »Theotag« getauft.
»Theotag« heißt konkret: Erst holen sich einzelne Nachwuchs- oder Hobbyfagottisten im Zwanzig-Minuten-Takt Tipps vom Profi. Gegen Abend versammelt sich die Fagottgemeinde mit Plath zum Vom-Blatt-Spielen.
Vors geschulte Ohr des Stars trauen sich am Dienstagnachmittag Kinder, Jugendliche, Erwachsene. Die neunjährige Nele hat ein wohlklingendes Übungsstück mitgebracht und die gleichaltrige Olivia als Klavierbegleiterin.
Wie auf der Carrera-Bahn
Plath hört zu, gibt Tipps, wie Nele den Luftstrom verbessern kann: »Stell dir vor, du nimmst die Luft aus dem Boden über die Füße auf! Und du wolltest damit eine Kerze in zwei Metern Entfernung ausblasen!« In seinem Kapuzenjäckchen wirkt Plath dabei nicht wie ein Jungprofessor, sondern wie der Skaterboy von nebenan.
Alles kann Plath in griffige Bilder packen. Mal geht es um die Carrera-Rennbahn, deren Kurs man erst gemächlich abfährt, ehe die Geschwindigkeit bei jeder Runde zunimmt – Tipp an den 30-jährigen Josua Schreck, um die rasenden Kapriolen in Johann Nepomuk Hummels Fagottkonzert in den Griff zu bekommen. Mal geht es um einen »gefühlten goldenen Luftballon in der Brust«, den der 17-jährige Simon Gollong sachte durch den langsamen Satz von Saint-Saëns’ Fagottsonate tragen soll, um die Melodie zum Schweben zu bringen. Und immer wieder geht es um die Luft, die es aus der Körpermitte ins Mundstück aus Schilfrohr zu führen gilt, ohne dass etwas bremst.
Der 15-jährige Micha Faude, ganz Perfektionist im Fagottkonzert von Mozart, bekommt den Rat, »mehr frisch von der Leber weg« zu spielen. Der 14-jährige Friedemann Dan bekommt für den heiklen tiefen Beginn der Sonatine von William Hurlestone mit auf den Weg, nicht auf Sicherheit zu gehen, sondern fest daran zu glauben, dass der erste Ton kommt. Beim 27-jährigen Philipp Häberer geht es um Orchesterstellen einer Brahms-Sinfonie. Den elfjährigen Lasse fordert Plath auf, sich größer zu machen, seiner Klavierpartnerin Mary direkt zuzuspielen.
Spielen wie aus einem Atem
Zum Schluss tritt ein junges Holzbläsertrio vor den Meister, mit Rafael Rueda Guzman, 16, an der Oboe, Patrick Bauer, 17, an der Klarinette, und Noah Rakhimi, 17, am Fagott. Drei farbig-atmosphärische Stücke des Franzosen Jacques Ibert legen sie kompetent hin – mit Plath arbeiten sie am gemeinsamen Schwung, am Spielen aus einem einzigen Atem.
Dann formiert sich ein dreißigköpfiges Fagottorchester von der neunjährigen Jungmusikerin bis zum Holzbläser-Urgestein. Und entfaltet angeführt von Plath jenes sonore, tiefengrundierte Summen, das jeden Fagottfan in Entzücken versetzt. Weihnachtslieder werden auf ein samtiges Kissen von Holzbläserwärme gebettet. Später geht’s mit Helga Warner-Buhlmann in lasziv zuckende Tango-Gefilde. Ehe ein Mendelssohn-Choral den Schlusspunkt setzt. Der nächste Theotag kommt bestimmt. (GEA)