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Es kracht und knarzt: Das Klavierduo Grau-Schumacher in Tübingen

Schrill, grell, feinsinnig und virtuos: In der Reihe »Contemporary Concerts« präsentierte das GrauSchumacher Piano Duo in der Tübinger Westspitze zwei gegensätzliche Werke moderner Musik. Dabei wurden die Klaviaturen teils zum digitalen Eingabegerät.

Das GrauSchumacher Piano Duo im Saal Eins der Westspitze Tübingen.
Das GrauSchumacher Piano Duo im Saal Eins der Westspitze Tübingen. Foto: Susanne Eckstein
Das GrauSchumacher Piano Duo im Saal Eins der Westspitze Tübingen.
Foto: Susanne Eckstein

TÜBINGEN. Mit dem »Saal Eins« in der Westspitze verfügt Tübingen über einen brauchbaren Konzertsaal, in dem der in Berlin lebende Tübinger Sebastian Solte die Reihe »Contemporary Concerts« für zeitgenössische Musik etabliert hat. Mit »GrauSchumacher« lockte ein bekanntes Klavierduo, das aus der Region stammt und seit Langem über hohes Renommee verfügt; entsprechend voll wurde der Saal. Das Programm bestand aus zwei Werken: den »Monologen« für zwei Klaviere von Bernd Alois Zimmermann aus dem Jahr 1964 und der »Trilogie für zwei Flügel« von Brigitta Muntendorf, einer in Köln lehrenden Komponistin. Als dritter Programmteil zählt die Installation »Theater des Nachhalls« , die nach dem Schluss-Umtrunk besichtigt werden durfte.

Zimmermann und Muntendorf vertreten gegensätzliche Stile der Neuen Musik. Mit den etwa siebzehnminütigen »Monologen« des ersteren ist sie noch gänzlich »unplugged«, nämlich nur für die konventionell gespielten zwei Flügel komponiert. Allerdings mit einem geradezu elitären Anspruch: Zimmermann hat darin Eigenes und Fremdes dicht übereinandergeschichtet; kleine Ausschnitte aus Werken von Bach, Messiaen, Debussy, Beethoven und Mozart werden mit eigenen atonalen Notaten zu einer undurchdringlichen Collage verwoben.

Explosionen vorgeschrieben

Andreas Grau und Götz Schumacher agieren als eigenständige, dabei blind aufeinander abgestimmte Künstler. Schrill, grell, feinsinnig und virtuos durchleuchten sie die Partitur. Diese Musik scheint immer wieder auf einen Urknall zurückzugehen; die Explosionen sind vorgeschrieben, der Flügel dient als Schlaginstrument, alles schwingt und erklingt zugleich. Rasende Läufe kreuzen sich, Akkorde und Cluster entfalten monumentale Kraft, »traumhaft« und »möglichst dramatisch« will der Komponist den Schlussteil haben, und genauso setzt das Duo ihn um bis zum präzisen Schlussknall.

Noch weiter weg vom traditionellen Klavierspiel bewegt sich Brigitta Muntendorfs »Trilogie für zwei Flügel«, indem sie diese als Eingabemedium mit Computertechnik und Elektronik verbindet, die in diesem Fall durch Sebastian Schottke verantwortet wird. Die Bezeichnungen der drei Sätze sind im Programmblatt nicht angegeben: »Key of Presence«, »Kreis Increase«, »Key of Absence«.

Jede Geste ein Geräusch

Des Weiteren ist diese Trilogie als musiktheatralische Performance konzipiert: Die mit Mikros und Sensoren ausgestatteten Pianisten sind Teil der Partitur, jede Geste löst Lautsprecher-Geräusch aus, Krachen, Knarzen, Vibrationen. Dazu schlagen sie sich an die Brust oder reiben am präparierten Sitzpolster; Satzfetzen wie »Something is coming« sind teils zugespielt, teils selbst artikuliert. Leider sind sie nur halb zu verstehen; offenbar geht es eher ums Mitschwimmen im Strom der Ereignisse.

Dazu taucht man ein in eine pulsierende Welt der Signale, die – unhörbar fürs menschliche Ohr – so ähnlich in unserer Umgebungsluft schwingen: vielfach geschichtete technische Rhythmen, Morsecodes vergleichbar, dazu ferne Stimmen. Der Tonumfang ist eng bis monoton, die Freiheit der Melodie scheint abgeschafft. Ebenso die traditionelle Aufgabe des Pianisten: Im zweiten Teil greift er zum Mini-Keyboard. Ist dies der Weg der Musikkultur?

Durch Geräusche übertönt

Im dritten Teil werden Sätze und Liedgesang eingeblendet und durch Geräusche übertönt. Am Ende steigert sich der Kampf zwischen Live-Spiel und künstlicher Zutat zu ekstatischem Klimpern, Klicken und Klackern, bis am Ende nur noch ein Summen aus der Box zu vernehmen ist. Anhaltender Applaus dankt Grau, Schumacher und Schottke für ihre beeindruckende Leistung. (GEA)