REUTLINGEN. Von einem Kammerorchester in eigentlichem Sinne kann beim Reutlinger Kammerorchester keine Rede mehr sein. Die sinfonische Besetzung übersteigt den Begriff und erlaubt dem versierten Laienorchester Ausflüge in hoch- und spätromantische Klangwelten, bis hin zu Wagner oder Puccini. Infolgedessen vermochte die Reutlinger Kreuzkirche am Samstagabend ein beeindrucktes Publikum mit einem beachtlichen Sinfoniekonzert zu verköstigen.
Beachtlich natürlich auch aufgrund der aus Berlin angereisten Solistin Annika Schlicht. Wie das Orchester diese vortreffliche Sängerin, die Mitglied des Ensembles der Deutschen Oper Berlin ist, für ihr Sinfoniekonzert begeistern konnte, verriet Robert Wieland. Als ehemalige Schülerin aus seiner Musikschule Filderstadt ist sie sich auch für nicht professionelle Orchester keineswegs »zu schade«, wie der Dirigent betonte.
In Reutlingen durfte Schlicht Richard Wagners Wesendonck-Lieder zum Besten geben. In der Orchesterfassung der Lieder durch Felix Mottl kletterten Solistin und Orchestermusiker die Stufen der romantischen Klangwelt empor und schwelgten in den schwülstigen Texten mit einer sich ergötzenden Sinnlichkeit. Schlichts Mezzosopran war dafür wie geschaffen. Überwältigend präsent, mit üppiger, voller Stimme deutete sie den Text stets besonnen aus. Mit ihrer Opernerfahrung war sie geradezu eine Wucht. Ausgezeichnet war, wie sie sich bis ins Pompöse steigern und doch auch kleine Nuancen ausloten konnte.
Das Orchester mit Darya Solta an der Solovioline ließ sich derweil ebenfalls auf diese gefühlvollen Stimmungen ein und begleitete Annika Schlicht zuverlässig und mit Flexibilität. »Im Treibhaus« beispielsweise fingen alle Ausführenden die Stimmung spannend ein: das säuselnde Weben, die gezupften Tropfen. Die dunkleren Töne der mittleren und tiefen Streicher woben das schwüle und üppige Fluidum des Gewächshauses in den Kirchenraum ein.
Die Pforte des Konzertabends wurde jedoch vom Orchester alleine geöffnet, und zwar mit Giacomo Puccinis Preludio sinfonico in A-Dur. Vielschichtig »sangen« die Instrumentalisten ihre zunächst lieblichen Motive, unterstrichen von der Harfe, steigerten sich zu immer wieder fesselnden und sich überbietenden Höhen und lockten durchweg leidenschaftliche und träumerische Klänge hervor.
In Franz Schuberts 3. Sinfonie führte Wieland seine Musiker präzise und mit Wachsamkeit durch die Partitur. Im ersten Satz dominierten Flöten und Klarinetten mit reizvoll vorgetragenen solistischen Melodien, während das Orchester sich teilweise zu mächtigen Leistungen hochschraubte. Hier wurde kräftig mitgearbeitet, wurden Höhepunkte geschaffen.
Das anmutige und frohsinnige Musizieren im Allegretto, die dynamische Fröhlichkeit im 3. Satz, wurde vom keck sich aufschwingenden letzten Satz gekrönt. Packend und mit Elan aufwallend zeigte das Orchester eine wirklich beeindruckende Leistung, die das Publikum auch gebührend honorierte. (GEA)
