Logo
Aktuell Erstaufführung

Erdmann-Oratorium erklingt in Reutlingen erstmals in Orgelfassung

Schon 2016 hatte der Reutlinger Komponist Veit Erdmann-Abele ein eigenes Weihnachtsoratorium vorgelegt. Das erklang nun erstmals mit Orgel- statt Orchesterbegleitung. Es wirkt wie ein ganz neues Stück.

Dirigent, Organist, Komponist und Solisten an der Orgelbank: (von rechts) Wolfhard Witte, Andreas Dorfner, Veit Erdmann-Abele, F
Dirigent, Organist, Komponist und Solisten an der Orgelbank: (von rechts) Wolfhard Witte, Andreas Dorfner, Veit Erdmann-Abele, Filippa Möres-Busch, Thomas Jakobs, Carmen Buchert und Florian Hartmann. Foto: Armin Knauer
Dirigent, Organist, Komponist und Solisten an der Orgelbank: (von rechts) Wolfhard Witte, Andreas Dorfner, Veit Erdmann-Abele, Filippa Möres-Busch, Thomas Jakobs, Carmen Buchert und Florian Hartmann.
Foto: Armin Knauer

REUTLINGEN. Es muss nicht immer Bach sein. Also hat der Reutlinger Komponist Veit Erdmann-Abele auf Anregung des Chorleiters Wolfhard Witte sein eigenes Weihnachtsoratorium vorgelegt. Das war schon 2016, damals mit Orchesterbegleitung. Jetzt erklang das Stück noch einmal, diesmal mit Orgel statt Orchester. Erneut hatten sich dafür die Kantorei der Kreuzkirche, der Hohbuchchor und die Chorgemeinschaft St. Wolfgang zusammengetan. Das Resultat: Es wirkte wie ein neues Stück.

Erdmanns Version ist von der Bachs weit weg. Sein Oratorium ist eine Art Mysterienspiel, betont das Wundersame, das Hereinbrechen des Entrückten in die menschliche Sphäre. Gleichzeitig betont er das menschliche Element: Zacharias, Elisabeth und Joseph spielen eine große Rolle, jene normalen Menschen, die dem Hereinbrechen des Göttlichen fassungslos gegenüberstehen.

Klangband des Wundersamen

Das Orchester mit seinen vertrauten Klängen holt das ein Stück weit an die Menschensphäre heran. Die Orgel hingegen, die jeden Sonntag im Gottesdienst die Tür öffnet zum Außeralltäglichen, steigert noch den Eindruck des Magischen. »Begleitung« ist dafür ein zu schwaches Wort: Das rund 75 Minuten lange Stück entfaltet einen durchgehenden Strom von Orgelklängen als unablässiges Band des Wundersamen, in das alles andere eingebettet ist. Eine Riesenaufgabe für Andreas Dorfner an der Orgel, die er souverän erledigt. Zusammen mit Erdmann hat er dafür immer neue Registerfarben gefunden.

Es sind kreisende Figuren zwischen Tonalität und Atonalität, mit denen Erdmann, mit denen Dorfner an der Orgel Klangkraftfelder erzeugt. Kraftfelder, die schweben, mal dunkel rumoren, mal zart schimmern, und dabei alles andere tragen. Wenn der Engel spricht, glitzern funkelnde Diskantwolken, als hätte sich der Himmel einen Spalt geöffnet. Eingeschobene Mariengedichte von Rainer Maria Rilke betonen das Entrückte, während volkstümliche Marienlieder die Anbindung ans Irdische garantieren.

Bassist Florian Hartmann auf der Orgelempore der Wolfgangskirche bei einem Solo.
Bassist Florian Hartmann auf der Orgelempore der Wolfgangskirche bei einem Solo. Foto: Armin Knauer
Bassist Florian Hartmann auf der Orgelempore der Wolfgangskirche bei einem Solo.
Foto: Armin Knauer

Der Chor singt diese Lieder frisch und zupackend, erfasst schön das dieser Musik innewohnende Schwingen. Mit Pracht und Klangfülle wird der Chor zudem zur Stimme des Engels. Im Epilog vereinigt er sich rund und warm tönend mit den Solisten, um die zentrale Botschaft zusammenzufassen: Das hereinbrechende Göttliche verkündet Hoffnung – fordert jedoch auch Solidarität der Menschen mit den Schwachen, den Fremden, mit denen, die von anderswo fliehen mussten.

Heikle Solisten-Aufgabe

Weitaus heikler ist die Aufgabe für die Solisten. Sie müssen auf die schwebenden Orgelklangfelder mal deklamierende, mal ariose Vokallinien legen, die ihrerseits in einem magischen Zwischenreich zwischen Himmel und Erde, Tonalität und Atonalität schweben. Sie machen das bewundernswert: Carmen Bucherts Sopran leuchtet intensiv, mit einem klaren, runden Kern. Der Alt von Filippa Möres-Busch stellt sanft und zärtlich das Mitfühlende in den Vordergrund. Thomas Jakobs lässt im Strahlen seines schlanken Tenors das Wundersame spüren, wenn er mit Rilke die Engel besingt. Und Bassist Florian Hartmann gibt dem Staunen des Zacharias vor dem Unbegreiflichen mit in sich ruhender Tiefe und warm leuchtenden Höhen Ausdruck.

Eine beeindruckende musikalische Erzählung von der Begegnung des Menschen mit dem Unbegreiflichen. Für die Akteure gab es in der gut gefüllten Kirche stehende Ovationen. (GEA)