Logo
Aktuell Konzert

»Encore« in Tübingen: Zweimal Debussy für zwei Klaviere in der Westspitze

1915 komponierte Debussy seinen Klavierzyklus »En blanc et noir«, Jetzt wurde das selten zu hörende Werk bei »Encore« in Tübingen aufgeführt. Es hat beklemmenden Bezug zur aktuellen Weltlage.

Fachkundige Werkkommentare:  Achim Stricker und das GrauSchumacher Piano Duo erläutern Debussys Klavierstück »En blanc et noir«.
Fachkundige Werkkommentare: Achim Stricker und das GrauSchumacher Piano Duo erläutern Debussys Klavierstück »En blanc et noir«. Foto: Jörg Riedlbauer
Fachkundige Werkkommentare: Achim Stricker und das GrauSchumacher Piano Duo erläutern Debussys Klavierstück »En blanc et noir«.
Foto: Jörg Riedlbauer

TÜBINGEN. Claude Debussys »En blanc et noir« gehört zu den seltener aufgeführten Stücken des 1918 verstorbenen französischen Komponisten. Drei Jahre vor seinem Tod entstanden, sind sie dem Spätwerk des nur 55 Jahre alt gewordenen Künstler zuzurechnen. Das Stück bereitet ein für Debussy untypisches Hörerlebnis. Die Opulenz und Klangsinnlichkeit von früher sind einer fast schon an Strawinsky erinnernden Schreibart gewichen.

Gerade für solch eine nicht im Repertoirealltag verankerte Musik bietet sich die Tübinger Reihe »Encore« an mit ihrer Dramaturgie, ein Werk der klassischen Moderne zweimal nacheinander aufzuführen, mit Erläuterungen durch die Interpreten vor der Wiederholung. Das »GrauSchumacher Piano Duo« überzeugte dabei sowohl durch die pianistische Kompetenz als auch durch die schlüssigen Kommentare zum Werk. Hierzu spielte der Moderator des Abends, Achim Stricker, humorvoll wie intelligent die Bälle zu.

Ausdrucksstarke Intensität

Mit Debussy seien sie eher unterfordert, meinte Stricker augenzwinkernd zur Begrüßung im Hinblick auf die Repertoirebreite des Duos mit einer Vielzahl schwieriger, teils experimenteller Werke zeitgenössischer Musik. Sollte dem so gewesen sein, ließen es sich Andreas Grau und Götz Schumacher nicht anmerken. Beide Durchläufe der Komposition spielten sie ausdrucksstark und intensiv, auch noch die kniffligsten Passagen des Zusammenspiels erklangen als Einheit.

»En blanc et noir« bedarf besagter Intensität, sonst wirkt es nicht. Es ist ein Bekenntniswerk Debussys. Es reagiert auf das Grauen des Ersten Weltkriegs und wurde von Debussy bei einem Benefizkonzert für französische Kriegsgefangene mit seinem Kollegen Jean Roger Ducasse aufgeführt. Dies erklärt zugleich die ins Patriotische gewandte musikalische Rhetorik, was der kompetenten Erläuterung bedarf, um sie aus ihrer Zeit heraus einordnen zu können.

Jeder stirbt für sich allein

Den Luther-Choral »Ein feste Burg ist unser Gott«, den schon Heinrich Heine als »die Marseillaise der Reformation« bezeichnet hat, baut Debussy wie eine Grimasse in seinen zweiten Satz mit der Überschrift »Langsam. Düster« ein, beklemmender Nachhall von Schmerz, Leid und Zerstörung des Krieges, ergreifend vom Klavierduo gespielt. Einzeltöne verlieren sich in der Düsternis, werden isoliert aneinander gestellt: Auch wenn der Tod im Krieg kollektiv wütet, stirbt jeder für sich allein. So auch jener Leutnant Jacques Charlot, dessen Andenken Debussy diesen Satz gewidmet hat.

Gegen Ende erklang sie tatsächlich, die Marseillaise, nicht martial, sondern subtil und elegant. Für derlei Gegensatzpaarigkeit steht, wie Stricker, Grau und Schumacher erläuterten, der Werktitel »En blanc et noir«. »Blanc« steht für das Spiel auf den weißen »reinen« Tasten, für einen reinen F-Dur-Akkord etwa, »fa majeur« auf Französisch, von Debussy als »La France« gedeutet. »Noir«, Schwarz also, steht für die Aggression der Deutschen, wobei die schwarzen Tasten Fis-Dur-Akkorde erklingen lassen, was zusammen mit dem F-Dur der weißen zu Bitonalität führt. Ein besonderer Abend in der Tübinger Westspitze, der nachdenklich stimmt angesichts der aktuellen Weltpolitik. (GEA)