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Aktuell Oratorium

Emotionale Klänge: Bachs Johannespassion in der Reutlinger Marienkirche

Unter der Leitung von Michaela Frind führte die Leonhards- und Mauritiuskantorei gemeinsam mit einem Kinderchor, dem Jungen Ensemble und einem Projektorchester Bachs Johannespassion auf. Es wurde ein beeindruckendes Geschehen zwischen Schmerz und Leidenschaft.

Die Solisten Wojciech Latocha als Christus (von links) , Hannes Nedele als Pontius Pilatus und Julian Habermann als Evangelist,
Die Solisten Wojciech Latocha als Christus (von links) , Hannes Nedele als Pontius Pilatus und Julian Habermann als Evangelist, hinten die vereinigten Chöre. Foto: Verena Völker
Die Solisten Wojciech Latocha als Christus (von links) , Hannes Nedele als Pontius Pilatus und Julian Habermann als Evangelist, hinten die vereinigten Chöre.
Foto: Verena Völker

REUTLINGEN. Bachs Johannespassion gehört zu den ergreifendsten musikalischen Schilderungen des Leidens Christi und wird in der Passionszeit deshalb gerne aufgeführt. Unter der Leitung von Michaela Frind präsentierten die Leonhards- und Mauritiuskantorei das Werk am Sonntag in einer beeindruckenden Fassung in der Reutlinger Marienkirche. Unterstützt wurden sie vom Jungen Ensemble, einem Kinderchor, einem Projektorchester und Gesangssolisten. Es wurde eine gelungene Aufführung in der nahezu vollständig besetzten Marienkirche.

Zwischen Schmerz und Leidenschaft entfaltete sich ein tiefes Gefühl, während man diese Passion am Sonntag erlebte. Auf der einen Seite trat eine große Stille ein, als Wojciech Latocha als Jesus das bewegende »Es ist vollbracht!« sang und der Evangelist mit den Worten »Er verschied« für Gänsehautmomente sorgte. In diesen Augenblicken herrschte absolute Ruhe in der Kirche. Auf der anderen Seite schien der Chor alle Hemmungen abzulegen, als er als wilde Masse mit schnellen, scharfen Rufen – fast mehr als Gesang – nach Jesu Kreuzigung verlangte. Zu der Frage, ob die Johannespassion, auch aufgrund dieser zugespitzten Schilderung des jüdischen Volks in den sogenannten »Turba-Chören«, antijüdisch sei, wurde im Programmheft ein Text von Bernhard Leube bereitgestellt. Damit wurde dieser brisanten Thematik angemessen Raum gegeben.

Überzeugende Solisten

Die fünf Solisten konnten in ihren Soli überzeugen. Besonders Julian Habermann, der den Evangelisten sang, tat dies mit großer Emotionalität. Seine langen musikalischen Linien waren tief ergreifend. Die Trauer und Verzweiflung ist zu spüren, die Petrus empfindet, als er erkennt, dass er Jesus verraten hat, obwohl er zuvor versichert hat, das nie zu tun. Fast meinte man, die Tränen förmlich fließen zu sehen. Mit seiner klaren Diktion zog Habermann das Publikum als Evangelist in seinen Bann. Dem Wechsel zwischen Arien und Rezitativen war der Tenor souverän gewachsen.

Katharina Großmann überzeugte als Sopranistin mit ihrer strahlenden Stimme, die in harmonischer Verbindung mit der Flötenmelodie ihre Arie »Ich folge dir mit freudigem Schritt« leicht und beschwingt zum Leben erweckte. Viola Kremzow, die als Kirchenmusikerin in Nordhausen tätig ist, interpretierte die Alt-Arien etwas zurückhaltender, jedoch nicht weniger eindringlich. Besonders berührend war ihre Arie, in der sie die Traurigkeit und Schwere von Jesu Tod zur Geltung brachte. Um so freudiger und jubilierender klangen die nächsten Zeilen, in denen vom Sieg des Helden aus Juda die Rede ist.

Hoffnung auf Erlösung

Wojciech Latocha verkörperte Christus in einer ruhigen und besonnenen Weise, ein Mensch, der seinem Schicksal ohne Zagen entgegentritt. Mit seiner Ruhe und Überlegenheit schien er dagegen Pontius Pilatus, der von dem jungen Wannweiler Bariton Hannes Nedele gesungen wurde, aus dem Konzept zu bringen. Nedele gelang es durch bedachte gesangliche Gestaltung, die innere Zerrissenheit des römischen Statthalters greifbar werden zulassen.

Die Choräle, die der Chor am Ende singt, wirkten dagegen kontemplativ, voller Nachdenklichkeit. Mit der Bitte um Erlösung nach dem Tod und dem Wunsch, Jesus ewig zu preisen, endet die Passion. Chor und Orchester gelang es, diese demütigen Zeilen einfühlsam zu transportieren. Wonach sie gemeinsam mit den Solisten vom Publikum mit lang anhaltendem Applaus bedacht wurden. (GEA)