REUTLINGEN/STUTTGART. Im Pariser Olympia-Club sind Josephine Baker und Louis Armstrong aufgetreten, Frank Sinatra, Jimi Hendrix, Sting, die Rolling Stones und natürlich die göttliche Edith Piaf. Nur der King of Rock ‘n‘ Roll war nie in der ältesten Musikhalle der französischen Hauptstadt. Diesen unverzeihlichen Fehler hat nun der Stuttgarter Elvis-Interpret Nils Strassburg korrigiert. Sein Auftritt samt freigiebig verteilter Küsschen und Seidenschals im Januar im Olympia knüpfte in Sachen weiblicher Ekstase nahtlos an die Originalauftritte des Idols an. Und dennoch will der Stuttgarter sein Reutlinger Stammpublikum im Naturtheater nicht missen.
GEA: Herr Strassburg, haben Sie Ihren Auftritt im ausverkauften Olympia schon verdaut?
Nils Strassburg: Ich glaube, es ist schwer, sich bewusst zu machen, was da überhaupt passiert ist. Wenn ich die Aufnahmen sehe, weiß ich schon, dass es etwas Besonderes war. Eine der von mir am meisten verehrten Persönlichkeiten ist Sting – der hat 2017 im Olympia eine CD aufgenommen. Da war schon eine riesige Dankbarkeit, dort auftreten zu dürfen. Die Venue selbst ist schon ein Ritterschlag. Aber es ist nicht so, dass ich dem ständig nachhänge. Jetzt freue ich mich auf die nächsten Auftritte, denn bei jedem Auftritt geht es um die Bestätigung dessen, was man erreicht hat. Paris war in der Hinsicht etwas Besonderes, eine legendäre Venue! Das Land hat bisher auf meiner Landkarte gefehlt.
Konzertinfo
Das Konzert »The Musical Story of Elvis« mit Nils Strassburg und seinen Roll Agents ist am 9. August um 20 Uhr im Naturtheater Reutlingen zu erleben. (GEA)
www.naturtheater-reutlingen.de
Bei Ihren Auftritten gibt es ein festes Ritual: Sie verteilen Schals und Küsschen und die Damen flippen aus. Wie sicher waren Sie, dass das auch in Paris funktioniert?
Strassburg: Da habe ich gar nicht drüber nachgedacht. Bei mir gehört das einfach dazu, und ich habe schon früh gemerkt, dass die Frauen im Saal im Vergleich zu Deutschland emotional nochmal eine Schippe drauflegen. Die waren mir gegenüber sehr respektvoll, haben sich aber teils gegenseitig die Schals heruntergerissen. Es artete förmlich aus. Eigentlich darf man im Olympia als Publikum nicht nach vorne kommen, aber irgendwann wurde der Andrang so groß, dass die Security aufgegeben hat.
Sie legen Wert darauf, dass Sie nicht als Elvis, sondern als Nils Strassburg auf der Bühne stehen. Haben Sie trotzdem ein Gefühl dafür bekommen, wie Elvis sich in solchen Momenten gefühlt haben muss?
Strassburg: Ich vermeide es tatsächlich, mich auf der Bühne als Elvis zu bezeichnen. Aber die Show war ja am Geburtstag von Elvis, und die haben immer wieder geschrien: »Happy Birthday, Elvis!« Mir ist klar geworden, dass ich für sie an diesem Abend die perfekte Illusion war. Meine Band hatte tatsächlich Sorgen um mich, weil am Bühnenrand alle die Arme nach vorn streckten, um ein Stück von mir oder von meinem Kostüm zu erhaschen. Als ich drei Stunden später in den Bus gestiegen bin, standen die noch beim Bus vor der Halle. Die waren wirklich respektvoll – und trotzdem ist es eine Euphorie, die in dem Moment für mich als Künstler schwer zu handeln ist. So schön es war - das hat natürlich wahnsinnig getragen durch das ganze Konzert, weil die immer voll mit dabei waren, mitgesungen haben, textsicher.
Wie sind Sie denn auf die Idee gekommen, Schals zu verteilen?
Strassburg: Das ist eine Idee, die habe ich von Elvis gecovert. Die Frauen haben immer was von Elvis gewollt, sie haben ihm teilweise Taschentücher hochgereicht, mit denen er sich abgetupft und die er dann zurückgegeben hat. Bei seinem Bühnencomeback 1969 in Las Vegas hatte er so einen dekorativen Bühnenschal an. Am Ende hat er den einer Frau aus dem Publikum gegeben. So hat sich das entwickelt. Es war immer sein Ding, ihr habt was für die Show bezahlt, deshalb kriegt ihr auch was zurück – also hat er Seidenschals verteilt. Die hat er kurz über den Hals gezogen oder über die Brust und hat sie dann ins Publikum gegeben. Das ist also nicht meine Erfindung, das habe ich kopiert von ihm.
Ist es in Me-Too-Zeiten überhaupt korrekt, Seidenschals und Küsschen ans weibliche Publikum zu verteilen?
Strassburg: Ich bin ja nicht übergriffig, ich achte immer peinlichst darauf, ob die Frauen das auch wollen oder nicht. Aber natürlich ist Elvis nicht Me-Too. Er ist noch dieser typische Hillbilly-Cowboy der 1960er- und 70er-Jahre. Ich glaube auch, dass das für die Leute okay ist. Wenn man das nach heutigen Maßstäben total korrekt machen würde, dann würde das ja das historische Bild total verfälschen. Ich habe mal kurz reingeschaut in den Eurovision Songcontest, da war mein Eindruck, da muss alles in eine Figur reingepackt werden und alles muss queer sein, damit es ja nicht unkorrekt ist. Das verfälscht doch Kunst und Kultur. Wenn ich erst darüber nachdenken muss, wie ich zu sein habe, damit es auch ja korrekt ist, dann ist es keine Kunst mehr. Als Nils Strassburg ist mein Geschlechterbild sehr modern. Was in der Show passiert, finde ich gar nicht schlimm. Ich und meine Fans, wir sind uns eben sehr nahe. Und wenn ein Mann einen Schal haben will, kriegt er den auch. Ich bin in Stuttgart bei einer Gala aufgetreten, da waren schwule Männer dabei, die wollten ein Küsschen haben – das haben sie auch gekriegt.
Was für ein Männerbild verkörpert Elvis für Sie?
Strassburg: Man kann ja fragen, warum hat diese Figur Elvis heute noch so eine Anziehungskraft? Ich sage, weil er in seiner Männerrolle sehr klar positioniert ist. Und trotzdem hat er etwas Androgynes an sich, das ist ja das Geile! Er ist auch sehr weiblich gewesen – diese Traurigkeit im Gesicht, die femininen Gesichtszüge und so weiter. Er war in dieser Hinsicht seiner Zeit weit voraus. Er war ja nie ein Haudrauf, er war eher ein Außenseiter. Und später hat er diese klassischen Männerrollen im Grunde persifliert. Er hat damit gespielt – auf der anderen Seite war er den Frauen gegenüber sehr zärtlich und nah. Andere Stars dieser Zeit wie etwa Tom Jones haben da ein sehr viel eindeutigeres Männerbild kultiviert. Elvis hatte hingegen beides drin, er war geschminkt, er hatte auch das Feminine – im Grunde war er wahnsinnig queer!
Eine Tour durch Frankreich ist im Januar geplant – möchten Sie sich dort dauerhaft eine Fangemeinde aufbauen?
Strassburg: Das ist schon das Ziel. Der Vorverkauf läuft sehr gut, zehn Städte in Frankreich stehen ab Januar auf dem Plan. Wenn es gut läuft, steht einer weiteren Tour im Jahr darauf nichts im Weg. So wollen wir uns Step by Step jedes Land erspielen. Wir haben gerade einen Vertrag mit Semmel Concerts unterzeichnet, die uns ab Mai 2025 durch 18 Städte in Deutschland schicken. Es stehen noch andere Länder auf dem Plan wie Finnland, Dänemark, Belgien, Österreich. Wir möchten schauen, wie weit wir kommen mit dem, was wir machen. Und wir machen das mit Elvis eben anders. Wir versuchen keine Kopie von Elvis zu bieten, sodass man, wenn man eine alte Konzertaufnahme anschaut, sagt, genauso hat er das gemacht. Sondern wir versuchen, den Sound heutigen Hörgewohnheiten anzupassen. Auch die Show soll mithalten können mit Shows von heute.
Wie ist es, nachdem Sie im Pariser Olympia gefeiert wurden, wieder auf Bühnen in der Provinz aufzutreten?
Strassburg: Nach Paris sind wir als erstes im tiefsten Bayern aufgetreten. Da musste ich feststellen: Hier funktioniert das mit den Funken nicht so schnell. Das Publikum ist deutscher. Die sagen: Arbeite erst mal was für mein Geld! Und man guckt erst bei seinem Nachbarn, ob man sich hier so gehen lassen kann, wie man es möchte. Aber Reutlingen war für mich immer ein gutes Pflaster, deshalb freue ich mich da jedes Mal sehr drauf. Das ist ein Heimspiel für mich, von Stuttgart aus ist es wirklich ein Katzensprung. Reutlingen ist immer was Besonderes. Es ist technisch eine Herausforderung, als Open Air ist das Wetter immer ein Faktor – aber vom Publikum her war Reutlingen für mich schon immer eine Bank. Ich bin mir sicher: Das wird wieder großartig! Jetzt hoffen wir auf gutes Wetter. Wobei das Publikum im Trockenen sitzt – und ich performe auch im Regen. (GEA)