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Ella Rosenberg ist die neue Dirigentin beim Reutlinger Kammerorchester

Sie ist noch jung, aber sie weiß, was sie will, und kann es dem Ensemble gegenüber gut kommunizieren: Ella Rosenberg ist die neue Dirigentin beim Reutlinger Kammerorchester. Dem GEA verrät sie, wo ihre eigenen musikalischen Vorlieben liegen.

Klare Ansagen, genaue musikalische Vorstellungen: Ella Rosenberg bei einer Probe des Reutlinger Kammerorchesters.
Klare Ansagen, genaue musikalische Vorstellungen: Ella Rosenberg bei einer Probe des Reutlinger Kammerorchesters. Foto: Armin Knauer
Klare Ansagen, genaue musikalische Vorstellungen: Ella Rosenberg bei einer Probe des Reutlinger Kammerorchesters.
Foto: Armin Knauer

REUTLINGEN. So richtig Freude kam wohl nicht auf beim Reutlinger Kammerorchester (RKO), als Dirigent Thomas Mandl nach nur gut zwei Jahren seinen Abschied bekannt gab. Er gab der Freien Sinfonie Tübingen den Vorzug. Also wieder das aufwendige Prozedere: Dirigentenstelle ausschreiben, Kandidaten einladen, Probedirigate. Da ist es doch gut, wenn man noch die Adresse einer Anwärterin in petto hat, die sich bereits beim letzten Mal gemeldet hatte, nur damals zu spät.

So kam die junge Stuttgarterin Ella Rosenberg ins Feld der Bewerber, absolvierte ein Kennenlern-Gespräch und ein Probedirigat – und hatte den Posten. Selbstverständlich war das nicht. Zum einen ist sie erst 26 und noch im Studium – in Stuttgart arbeitet sie gerade auf ihren Masterabschluss in Dirigieren hin. Zum anderen hatte im Sommer letzten Jahres eine Corona-Infektion ihr Nervensystem angegriffen und die linke Körperhälfte lahmgelegt. Mittlerweile haben sich die meisten Nervenbahnen zurückgemeldet; nur knieabwärts am linken Bein fehlt noch das Gefühl, weshalb Gehen schwierig ist. Und ihre Duopartnerin am Klavier, Corinna Liebler, auch Chauffeurdienste leisten muss.

Bizets C-Dur-Sinfonie

Dass sie trotzdem das Rennen gemacht hat, wundert nicht, wenn man sie dirigieren sieht. Da weiß eine genau, was sie will, und kann es auch vermitteln. Die C-Dur-Sinfonie des jungen Georges Bizet wird geprobt. Die Geigen mit ihren Figuren hoch oben will sie flüsterleise haben. Die Basstupfer der Celli wünscht sie sich als Melodie gedacht. Der Charakter einer heiter-eleganten Leichtigkeit soll rauskommen. »Die Bläser den Akzent nicht so stark, und bei den Fagotten mehr Unterstimme«, fordert sie. Klare Ansagen, präzise Hinweise, exakte Klangvorstellung.

Die Bizet-Sinfonie hat sie noch von ihrem Vorgänger Thomas Mandl übernommen. Anfang April ist sie eingestiegen, mitten im Probenprozess fürs Sommerkonzert am 5. Juli. Die für den ersten Programmteil vorgesehenen Stücke hat sie ausgetauscht, sie waren ohnehin noch nicht geprobt. An die Stelle einer Mozart-Sinfonie hat sie Mendelssohns erstes Klavierkonzert gestellt. Auch ein Jugendwerk. Besetzt mit einer erst 18-jährigen Solistin von der Stuttgarter Musikhochschule, Elisabeth Namchevadze. Junge Dirigentin, junge Komponisten, junge Solistin: »Mir ist wichtig, dass ein Konzert einen roten Faden hat«, erklärt sie. Bindeglied zwischen den beiden Programmhälften ist das »Intermezzo« aus Bizets »Arlesienne«-Suite.

In Aachen aufgewachsen

Rosenberg stammt aus Aachen, ist mit einer Schwester und zwei Brüdern aufgewachsen. Sie malt auch, interessiert sich für Kunst, hatte sogar mit dem Gedanken gespielt, Kunst zu studieren – es fand sich nur kein Ort, an dem man Musik und Kunst parallel studieren konnte.

Sie selbst hat in Lübeck angefangen, mit Musik auf Lehramt und Klavier als Konzertfach. Erste Erfahrungen in der Chorleitung brachten sie zum Dirigieren. Nach dem Bachelor in Klavier und Schulmusik ging sie nach Stuttgart, holte dort den Bachelor in Dirigieren nach und arbeitet jetzt auf den Master hin. In Stuttgart leitet sie auch den Motettenchor, ansonsten hat sie während des Studiums vor allem mit Profiorchestern gearbeitet, mit denen die Hochschule kooperiert. Auch vor der Württembergischen Philharmonie Reutlingen ist sie schon gestanden. Mit einem Sinfonieorchester aus Laien zu arbeiten, sei für sie neu gewesen. Fordern, ohne zu überfordern, sei hier die Kunst.

Probe des Reutlinger Kammerorchesters mit Ella Rosenberg am Pult im Isolde-Kurz-Gymnasium.
Probe des Reutlinger Kammerorchesters mit Ella Rosenberg am Pult im Isolde-Kurz-Gymnasium. Foto: Armin Knauer
Probe des Reutlinger Kammerorchesters mit Ella Rosenberg am Pult im Isolde-Kurz-Gymnasium.
Foto: Armin Knauer

Zweites Standbein bleibt für sie das Klavier. Mit Corinna Liebler bildet sie ein Klavierduo, mit dem sie häufig auftritt. Auch da funkte die Corona-Infektion dazwischen. Aber bereits, als links lediglich drei Finger funktionierten, war sie wieder am Start. Inzwischen sind auch Daumen und Zeigefinger wieder mit von der Partie.

Fan von Schumann

Längere Zeit hat sie Judo als Leistungssport betrieben, das ist passé. Geblieben ist ihre Begeisterung fürs Brotbacken. Musikalisch steht bei ihr Bach hoch im Kurs, vor allem am Klavier. Und sie ist Schumann-Fan. Wie das Zwiespältige seiner Persönlichkeit sich in seinem Werk spiegelt, fasziniert sie. »Ich finde es spannend, wenn jemand so als Charakter greifbar wird in seiner Musik.« Ob man also mal eine Schumann-Sinfonie mit dem RKO erleben wird? »Mal sehen, an Schumann muss man sich abarbeiten.«

Ein Faible hat sie auch für Programme, die Text und Ton kombinieren. Konzerteinführungen kann sie sich vorstellen; mit Kombinationen von Musik und Literatur hat sie bereits in Stuttgart Erfahrungen gemacht. So bei einem Konzert, in dem Friedrich Rückerts Übertragungen persischer Gedichte rezitiert wurden. Man darf also gespannt sein, was noch kommt. (GEA)

Konzertinfo

Das Reutlinger Kammerorchester spielt am Samstag, 5. Juli, um 19 Uhr in der Reutlinger Kreuzkirche Werke von Felix Mendelssohn Bartholdy und Georges Bizet. Solistin ist Elisabeth Namchevadze, Klavier, die Leitung hat Ella Rosenberg.

www.rko-reutlingen.de