TÜBINGEN. Eben noch wirbelte ein schneller Rhythmus über die Bühne, legte die Band großes Tempo vor, stieß der Bandleader wilde Silben aus – plötzlich fällt dieser klingende Vorhang, zurück bleibt der Klang der Trompete, der elegant im Raum schwebt. Dann zieht das Tempo schon wieder an, taucht ein schnelles Keyboardsolo auf, steigert sich zum Crescendo.
Joo Kraus wurde in Ulm geboren, woher auch Hellmut Hattler stammt. Beide waren in den 1990ern als »Tab Two« ein Duo. Kraus spielte mit Kraan, mit Jazzkantine, mit Doldingers Passport; sein Trompetensound ist auf den Alben vieler Künstler zu hören. Am Mittwochabend steht er im Sudhaus auf der Bühne, Veit Hübner zupft den Kontrabass, Jo Ambros spielt die E-Gitarre, Torsten Krill sitzt am Schlagzeug, liefert einen schnörkellos-energischen Beat. Ralf Schmid aus Freiburg, hochgewachsen in bodenlangem Rock, spielt Keyboards, mischt Pianoklänge mit Elektronik.
Noch immer ein Grenzgänger
»No Excuse« heißt Joo Kraus‘ neues Album, und wieder bewegt er sich zwischen allen Stilen: Er spielt mit Einflüssen aus dem Hip-Hop, schickt sein Publikum in Räume aus hallendem Klang, spielt Balladen und harten Funk, steht mit Basecap am Mikrofon und rappt, greift zuletzt auch mal zum E-Bass. Ein Abend, der mal entspannt, mal quirlig wird, mal düster, mal zeitlos urban. Das Konzert beginnt mit einem Stück des Albums »We are doing well« von 2021 – dann folgen Stücke des neuen Werks, das erst vor zwei Wochen erschien. Gleich das zweite Stück klingt schon sehr entspannt – es heißt »Later« und handelt von der Zeit nach den Konzerten, wenn die Band beisammen sitzt, bei Veit Hübner, und der Hausherr seine Schätze aus dem Weinkeller holt: »Es ist Country-Jazz, könnte man sagen«, sagt Kraus. Oder: Eine Ballade. Hier schwirrt der Bass regelrecht romantisch, die Gitarre reizt die Stimmung aus, die Trompete setzt lange Klänge; Joo Kraus steht zuletzt am Mikrofon und pfeift sie noch nach.
Kraus und seine Band besitzen eine außerordentliche Wandlungsfähigkeit. »Surfin‘ at Night« ist kühl, ein Popstück fast, mit Gesang, betontem Rhythmus, einem Hauch von Elektronik, einem Solo von Veit Hübner. Die Musik wird flächiger, dunkler, atmosphärischer. Schlagzeugwirbel brechen sie auf, lassen sie abfallen in labyrinthische Soundscapes. »Chacka Boom« setzt einen Kontrast – »ein Disco-Kracher«, sagt Kraus: wuchtig, funky. »No Excuse« dann, das Titelstück des neuen Albums, wendet sich den dunklen, hypnotischen Flächen zu, ein imaginärer Soundtrack fremd anmutender Klänge.
Von Sade zu Herb Alpert
Zurück geht's zu hellerer Musik mit »Save me« und einer Version des Sade-Klassikers »Smooth Operator«, in die zuerst Ralf Schmid Elemente von George Gershwins »Summertime« fädelt, die Kraus aufnimmt.
Als Zugabe gibt es ein neues Stück, es heißt »Alpert Drive«, Herb Alpert gewidmet, dem Trompeter, der mit seiner Band The Tijuana Brass den Easy-Listening-Sound der 1960er mitprägte. Der noch immer lebt und in Jazz-Kreisen, wie Kraus weiß, »keine große Kredibilität genießt«: »Er spielt zu zickig«. Kraus demonstriert es, und jeder, der es noch nicht wusste, weiß nun, dass er Herb Alpert gut kennt: »Spanish Flea« oder »A Taste of Honey« sind unvergessene Ohrwürmer. Auch bei Kraus, der diese Musik schon hörte und liebte, als er erst acht oder neun Jahre alt war. (GEA)