TÜBINGEN. Der Begriff »Stoner Rock« – von »stoned« wie »bekifft« – ist irreführend. Denn ein Eintauchen in andere Bewusstseins-Sphären gibt es in dieser Musikrichtung gerade auch ohne jeden Drogenkonsum. Was sich am Samstagabend im gut gefüllten Sudhaus nachvollziehen ließ bei einem Minifestival mit drei sehr unterschiedlichen Gruppen, deren Klangwelten im Inneren doch zusammenhängen.
Mathew's Hidden Museum
Ein Duo macht den Anfang. »Mathew's Hidden Museum« zaubert dunkel grollende Klanglandschaften mit nichts als einer E-Gitarre, einem E-Bass und dem herzschlagähnlichen Puls der Elektronik. Mastermind Mathew Bethancourt wirkt mit seinem bärtigen Gesicht im tiefen Schatten seines Kapuzenpullis wie der Mönch eines düsteren Kultes. Schleppend groovende Klangmassen schaffen einen dunklen Sog; dazu flimmern über die Leinwand im Hintergrund psychedelische Farbspiele.
Nach zwei Nummern, von denen jede eine Viertelstunde dauert, katapultiert es uns aus der grollenden Finsternis ins grelle Wüstenlicht. Links und rechts am Bühnenrand stehen in Overall und Basecap die beiden Gitarristen der Formation »The Rubber Snake Charmers« wie vom kalifornischen Staat besoldete Tonerzeugungsbeamte. In die Bühnenmitte hechtet eine Gestalt, die einem surrealen Spätwestern von Jim Jarmusch entsprungen scheint.
Cowboys, Ufos und Azteken
Der Amerikaner Sean Wheeler steckt im Outfit eines abgetakelten Bestatters der Siedler-Ära. Er wedelt mit einer Taschenlampe, hält dem Publikum ein buntes Heft mit Krähen, Eulen und Aliens vor die Nase, er tanzt, schwankt, wirft die Arme in die Luft, rezitiert mit beschwörender Stimme Gedichte, Zauberformeln oder Schamanenflüche, wer weiß das schon. Und wirkt dabei wie ein Cowboy, in den der Geist eines Aztekenpriesters gefahren ist.
Die Klangwelt ist noch immer tranceartig, aber nun von wüstenartigem Flimmern. Windgeräusche heulen, surreale Westernsphäre macht sich breit, auf der Leinwand erscheinen altindianische Objekte vermischt mit Ufos und Aliens. Musiker der Hauptgruppe Colour Haze gesellen sich hinzu, eine Akustikgitarre reichert den Sound mit stählernem Zirpen an. Und man fragt sich, in was für eine Welt man da geraten ist. Großes Kino.
Klangrausch aus München
Bei der Hauptgruppe Colour Haze ist die Wüstenrockwelt samt Cowboy und Aztekenkult verschwunden wie eine Fata Morgana. Stattdessen weben nun vier Musiker ohne jegliches äußeres Spektakel an Klanglandschaften, deren innerer Sog umso stärker ist. Oft beginnt alles mit ätherischen Synthesizerwolken von Jan Faszbender. Im Zentrum aber steht die Gitarre von Bandgründer Stefan Koglek – man feiert bereits das 30-Jährige. Koglek schleicht sich ein ins mystische Glimmen des Keyboards mit seiner Gitarre, lässt einen subversiven Groove zucken. Bassist Mario Oberpucher steigt mit ein, Schlagzeuger Manfred Merwald entlockt den Becken schimmernde Klangfelder – und allmählich steigert sich alles zum rockenden Klangrausch.
So zaubern sie zu viert monumentale Klanglandschaften. Entwickeln aus winzigen Keimzellen machtvoll wogende Brandungen. Bauen über eine riesige Spannweite immer mächtiger wogende Crescendi auf. Was dann urplötzlich in harte Rockbeats kippt. Oder abreißt, um für ein paar Momente noch einmal dem kuhglockenartigen Idyll des Keyboard-Intros Platz zu machen.
Jazzrockartige Improvisationen
Wie variabel und ausgefeilt die Instrumentalparts dabei sind, ist beeindruckend. Koglek schlägt an der Gitarre den Bogen von rau röhrenden Rocksoli zu sanft blühender Melodik oder jazzrockartigen Girlanden. Manfred Merwald kreiert am Schlagzeug mit wirbelnden Sticks schäumende Klangwolken, durch die Akzente wie Blitze zucken. Mario Oberpucher schafft am Bass ein dunkel groovendes Fundament, das er mit nervös zuckenden Figuren aufwühlt. Und Jan Faszbender hüllt das alles in das surreale Schimmern seiner Keyboard-Harmonien.
Zusammen nehmen sie das wiegende und wogende Publikum mit auf eine Reise in extraterrestrische Bewusstseins-Sphären, während die Leinwand im psychedelischen Farbrausch versinkt. Erst in den Zugaben verraten die Münchner ihre Ursprünge im Metal, mit Kogleks Stimme hoch und flehend über den Rock-Riffs. Eine faszinierende Klangreise. (GEA)