TÜBINGEN. Wie kaum ein Ereignis in den vergangenen Monaten - außer vielleicht der harte Sparkurs in Berlin - haben die Einschnitte beim Tübinger Zimmertheater, in seiner derzeitigen Ausprägung auch bekannt als Institut für theatrale Zukunftsforschung (ITZ), für Schockwellen in der Kulturszene in Tübingen und Reutlingen gesorgt. Nach dem in der vergangenen Woche bekannt gewordenen Rücktritt von Zimmertheater-Intendant und Geschäftsführer Peer Mia Ripberger zum Ende der Spielzeit 2024/2025 und dem angekündigten Rückzug des kaufmännischen Leiters Roman Pertl haben sich Kulturinstitutionen und Vereine zu Wort gemeldet.
Nüchtern kommentierte der Intendant des Landestheaters Tübingen (LTT), Thorsten Weckherlin, er finde den Rückzug der beiden »nur konsequent«. Beide, Ripberger und Pertl, hätten schon ganz früh deutlich gemacht, sie stünden nicht mehr zur Verfügung, falls der Tübinger Gemeinderat die geplanten Kürzungen durchwinken würde. »Nun gilt es, möglichst schnell eine neue Leitung zu finden.« Bedauern äußerte der Vorsitzende der Freunde des LTT, Jochen Gewecke. Das Zimmertheater drohe zu ersticken, sagte er. »Mir blutet das Herz. Theater sind Geschwister – und so trauern die LTT-Freunde um das, was unserem Familienmitglied widerfährt. Vor allem, weil sich das Zimmertheater/ITZ einen so eigenständigen und einzigartigen Platz im Kulturleben der Universitätsstadt erarbeitet hat. Und weil es zum Teil ganz andere und oft auch jüngere Menschen anspricht als das LTT. Wohin die Reise dieses Theaters führen wird, wissen wir heute noch nicht. Aber die Erstickungsgefahr ist groß, weil wir nicht wissen, aus welcher Freiheit heraus es noch atmen soll.«
Fast 26 Prozent weniger Mittel
Der Tübinger Gemeinderat hat auf Vorschlag der Stadtverwaltung den Zuschuss für das Zimmertheater im kommenden Jahr von bislang knapp 1,1 Millionen Euro auf 800.000 Euro abgesenkt. Damit hat es das Theater mit fast 26 Prozent weniger Mitteln besonders hart getroffen.
Die Tübinger Kulturverwaltung habe es dem Team um Peer Mia Ripberger und Roman Pertl nicht eben leicht gemacht, kommentierte das Reutlinger Theater Die Tonne in einer von Verwaltungsleiter Matthias Schmied übermittelten Stellungnahme diesen Einschnitt. Das ITZ habe in den letzten Jahren exemplarisch demonstriert, »wie schwer und langwierig es ist, ausgetrampelte Pfade zu verlassen. Und wie lange es dauert, bis das eigene Konzept, dem anfangs so wenige vertraut haben, zur wichtigen Facette in der hiesigen Theaterlandschaft wird.« Erfolgsgeschichten im Theater profitierten vom langjährigen Vertrauen ihrer Umgebung und benötigten politische Rückendeckung. »Das wird in Tübingen jäh und, wie man befürchten muss, unwiederbringlich beendet.« Um glaubwürdig zu bleiben, sei den Kollegen nichts anderes übrig geblieben, als die Reißleine zu ziehen. »Wir wünschen ihnen, dass es andernorts gelingt, ihren Ansatz fortzusetzen.«
Überregional als bedeutend angesehen
Der Theaterverein Theater in der Tonne e. V., Förderverein des Theaters Reutlingen Die Tonne und zugleich Gesellschafter der gemeinnützigen GmbH, die dieses Theater betreibt, erklärte durch seinen Vorsitzenden Thomas Lambeck, dass man die Entwicklung in der unmittelbaren Nachbarstadt mit großer Sorge betrachte. Bedeute sie doch, dass der Wert kulturellen Schaffens für die Versorgung der Menschen in Stadt und Land mit dem Lebensmittel Kultur offenbar so gering geschätzt werde, dass man es hinnehme, dass die Weiterarbeit in dem überregional als bedeutend angesehenen Tübinger Zimmertheater ohne einschneidenden Qualitätsverlust nur möglich bleibe, »wenn die dort arbeitenden Menschen bereit sind, ihre Arbeit zu Bedingungen fortzusetzen, die nur als nicht auskömmlich zu bezeichnen sind«. Es ehre die Leitung des Zimmertheaters, dass sie erkläre, unter diesen Bedingungen zu Lasten der Mitarbeitenden am Theater nicht weiterarbeiten zu wollen.
Zu Wort meldeten sich auch Cornelius Grube, Intendant der Württembergischen Philharmonie Reutlingen, und das Reutlinger Kulturzentrum franz.K. Der Umgang der Tübinger Verwaltung und des Gemeinderats mit dem ITZ in den vergangenen Monaten zeigt laut Grube, »dass in der Stadt, in der einst Hölderlin, Uhland, Mörike und Hesse lebten, Kultur nur ‚nice to have‘ ist - anstatt zu erkennen, dass vor allem eine Kommune der zentrale Ort sein muss, in dem kulturelle, demokratiefördernde Teilhabe ermöglicht wird«. Nicht nur Berlin, sondern nun auch Tübingen zeigten auf fatale Weise, »wie dilettantisch und beliebig mit Kultur und den finanziellen Notwendigkeiten umgegangen wird, wie wenig Verantwortungsbewusstsein in der Verwaltung gegenüber der Kultur vorhanden ist«. Die Frage des Geldes sei für jede Kulturinstitution existenziell, sagte Grube weiter. Und: »Das Schlimme in Tübingen ist - wie auch in Berlin und anderen Kommunen - die mangelnde Wertschätzung.«
Investitionen in Kultur angemahnt
»Wir solidarisieren uns mit den betroffenen Künstler:innen der freien Szene und dem ITZ am Zimmertheater und fordern ein klares Bekenntnis zur Sicherung der Rahmenbedingungen für eine freie und lebendige Kunst – in unserer Region und bundesweit«, hieß es in einer Stellungnahme des franz.K, an den GEA übermittelt von Matzel Xander. Die drastische Reduzierung von sechs Bundeskulturfonds von 32 auf 18 Millionen und das Beispiel des ITZ am Zimmertheater zeigten eine gefährliche Richtung auf. Statt Kürzungen brauche es Investitionen in Kultur – eine Investition in die Zukunft, in soziale Gerechtigkeit und in eine lebendige, demokratische Gesellschaft. »Das Ausbluten der Kulturbranche führt nicht nur zu künstlerischem Verlust, sondern auch zu wirtschaftlichem Schaden und sozialer Spaltung.«
»Befremdlich bis ärgerlich« findet Tübingens Bürgermeisterin für Soziales, Ordnung und Kultur, Gundula Schäfer-Vogel, so manche Kritik am Tübinger Kurs. Es sei »schon auch interessant, dass das Stimmen von auswärts sind und Stimmen von Institutionen, die gesicherte Landeszuschüsse haben und deren städtische Zuschüsse vertraglich abgesichert sind«. Tübingen gebe gemessen an der Einwohnerzahl »vermutlich mehr Zuschüsse für die Kultur als Reutlingen«. Acht Millionen Euro überweise die Stadt an insgesamt 98 Regelzuschussempfänger.
Was die Bürgermeisterin sagt
Das Zimmertheater-Team habe, so Schäfer-Vogel, »hervorragendes Theater gemacht. Deswegen bedauern wir auch, dass sie jetzt früher aufhören, als wir gedacht haben.« Die rasche Kündigung von Peer Mia Ripberger habe sie erschüttert. Auf die Frage, warum beim Zimmertheater gekürzt wird, sagte die Bürgermeisterin: »Weil wir uns bis jetzt zwei Theater leisten - und das ist super. Aber wenn das Geld knapp wird, gibt es da halt Verknappungen. Wir wollen’s ja nicht schließen. Wirklich nicht. Aber wir haben zum Beispiel nur ein Sudhaus, nur eine Museumsgesellschaft, nur eine Kunsthalle - und zwei Theater.«
Das LTT sei nicht nur für Tübingen da. Sein kultureller Auftrag sei es, für den gesamten Landkreis (und darüber hinaus) Theaterangebote zu machen, insbesondere mit dem Kinder- und Jugendtheater an Schulen. »Und es ist gar nicht ersichtlich, wieso das Land hätte mitmachen sollen, wenn wir sagen, gebt doch mal weniger fürs LTT und gebt dafür ein bisschen mehr fürs Zimmertheater.« So hat es nun also das Zimmertheater getroffen. »Eine fairere Lastenverteilung war aus unserer Sicht nicht möglich.«
Ensemble oder Gastverträge?
Nun, sagt Schäfer-Vogel mit Blick auf die Neuausschreibung der Intendanz, sei sie gespannt, wie Künstlerinnen und Künstler, die in Tübingen Theater machen wollen, das konzeptuell angehen. »Wir haben halt eine klare Budget-Vorgabe.« Man werde eine Künstlerin, einen Künstler oder ein Duo aussuchen, »die für uns am überzeugendsten ein inhaltliches Konzept präsentieren, aber natürlich auch eines, das wirtschaftlich umsetzbar ist«. Ob es wieder ein Ensemble geben wird oder nur Gastverträge für Schauspielerinnen und Schauspieler, gebe man nicht vor. Bewerberinnen und Bewerber um die Intendanz, die sagten, sie schaffen das mit einem Ensemble, und das überzeugend darlegen könnten, seien »genauso im Rennen wie welche, die sagen, wir machen das eher mit Gästen und so und so«.
Das Tübinger Zimmertheater sei schon immer eine Kaderschmiede für bedeutende Künstler gewesen und habe ein sehr innovatives Programm gemacht, sagt Schäfer-Vogel. »Ich hoffe, dass das so bleibt. Aber es kann halt nicht mehr so viel kosten.« Die Intendanz soll zum Oktober 2025 neu besetzt werden. Persönlich, so die Bürgermeisterin, glaube sie nicht, »dass jemand kommt, der sagt, wir machen jetzt weiter theatrale Zukunftsforschung. Das wäre ja dann auch abgekupfert von den Vorgängern. Aber ich hätte gerne ein innovatives Konzept. Das Zimmertheater hat sich immer versucht abzugrenzen vom LTT. Das finde ich auch wichtig, richtig und wünschenswert.« (GEA)