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Einschnitte bei Musikreihen: Der Rotstift erreicht die Kultur

Leeres Theater
Ein Zettel mit der Aufschrift »Sitzplatz Freigegeben!!!« hängt an einem Sitzplatz im leeren Zuschauerraum eines Theaters. Foto: dpa/Pleul
Ein Zettel mit der Aufschrift »Sitzplatz Freigegeben!!!« hängt an einem Sitzplatz im leeren Zuschauerraum eines Theaters.
Foto: dpa/Pleul

Die Reutlinger Kulturpolitik gibt derzeit ein doppelgesichtiges Bild ab. Da ist auf der einen Seite der Kammermusikzyklus, den man in der kommenden Saison wieder in voller Blüte anbietet. Man hat sich für die erste Hälfte sogar den Großen Saal der Stadthalle gesichert. Sollten die Covid-Infektionszahlen wieder steigen, und wenige Wissenschaftler zweifeln daran, stehen dort die Chancen besser, durchzukommen. Zudem hat man den Zyklus, unterstützt von der Kreissparkasse, sogar um ein kleines Kunstlied-Festival erweitert. Kleiner Seitenhieb nach Bad Urach, wo die Herbstlichen Musiktage ihr einstiges Steckenpferd zuletzt nicht mehr so eindeutig in den Mittelpunkt stellten. Schließlich hat die Stadt mit einem Zuschuss von 50.000 Euro den Echaz-Hafen mit ermöglicht. Endlich ein festes Open-Air-Gelände zumindest im Sommer – ein großer und wichtiger Schritt.

Bitter jedoch, dass die beiden anderen städtischen Reihen, Musica Nova und Musica Antiqua, in der kommenden Saison bis auf wenige Restbestände gestrichen sind: Von der Musica Nova bleiben nur die beiden letzten Konzerte im Juni 2022 übrig; von der Musica Antiqua immerhin die beliebten Sommerkonzerte in der Sondelfinger Stephanuskirche.

Nicht etwa die Corona-Pandemie ist der Grund dafür, sondern schlicht Personalmangel im Kulturamt, wie Amtsleiterin Anke Bächtiger einräumte. Bei zwei Mitarbeiterinnen steht eine Mutterschaftspause an, eine weitere Kollegin ist längerfristig erkrankt. Natürlich ist es kaum möglich, mit einem derart geschrumpften Team sämtliche Reihen zu stemmen. Und natürlich ist es schwierig, für wenige Monate Mutterschaftsvakanz eine sinnige Vertretung zu organisieren. Andererseits wäre es durchaus möglich gewesen, für ein Jahr eine Projektkraft in Vollzeit heranzuziehen, um die Reihen zu retten. Doch dafür fehlte offensichtlich das Geld.

Hier liegt das Problem: Reutlingen war bereits vor der Krise verschuldet, die Pandemie hat das Finanzloch noch wachsen lassen. Dass in dieser Lage bald Liebgewonnenes ins Visier geraten würde, war abzusehen. Dass es so schnell gerade die Kultur erwischt, erschüttert dann aber doch. Beide Reihen hatten vor Corona eine lückenlose Kontinuität von Jahrzehnten – wenn nun zwei Schwangerschaften und ein einzelner Krankheitsfall bereits reichen, um diese Institutionen zu kippen, spricht das Bände, wie verletzlich die Kultur in Reutlingen ist.

Immerhin ist festzuhalten, dass man im Kulturbereich in der Krise nicht nur gestrichen, sondern auch Impulse gesetzt hat. Für die beiden Reihen, die beide vor Corona eine sehr erfreuliche Entwicklung genommen hatten, ist es dennoch bitter. Zumal sie bereits im Coronajahr 2020 mehr oder weniger ausfielen. Sie werden nach der Durststrecke Wiederaufbauarbeit leisten müssen.

 

akr@gea.de