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Aktuell Musik

Eine Reise durch Nacht und Tag: Musica-Antiqua-Konzert mit Gesang und Harfe

Eine besondere Wintermusik-Matinee der Reutlinger Musica-Antiqua-Reihe: der Auftritt der Sopranistin Gerlinde Sämann, begleitet von Vincent Kibildis an der Harfe, am Sonntag im Spitalhofsaal. Ihr Programm »From Darkness to Light« führte vom Dunkel ins Licht – und wieder zurück.

Gerlinde Sämann (Sopran) und Vincent Kibildis (Harfe) bei ihrer Wintermusik-Matinee im Reutlinger Spitalhofsaal.
Gerlinde Sämann (Sopran) und Vincent Kibildis (Harfe) bei ihrer Wintermusik-Matinee im Reutlinger Spitalhofsaal. Foto: Susanne Eckstein
Gerlinde Sämann (Sopran) und Vincent Kibildis (Harfe) bei ihrer Wintermusik-Matinee im Reutlinger Spitalhofsaal.
Foto: Susanne Eckstein

REUTLINGEN. Man sagt Blinden ja eine besondere Nähe zur Musik nach; auf die Sängerin Gerlinde Sämann trifft dies auf jeden Fall zu: Sie kann auf eine internationale Karriere als Sopranistin vor allem im Bereich der Alten Musik zurückblicken; bei den Herbstlichen Musiktagen 2017 in Bad Urach war sie Teil eines exzellenten Solistenensembles, in zahlreichen Einspielungen trägt sie die solistische Hauptrolle.

Zwar macht sie kein Aufhebens um ihre Einschränkung (zum Singen benutzt sie ein Braille-Tablet), doch ihr Programm thematisiert dennoch das Nicht-Sehen mit dem Motto »From Darkness to Light«; ein bekannter Topos in Kunst und Musik, doch hier gewinnt er konkrete Bedeutung.

Farbig-silbriges Saitenspiel

Eigentlich ist diese Werkfolge für Aufführungen im Dunkeln gedacht, wie die Sängerin am Ende sagt, sie berührt, wie am Sonntag in der Reutlinger Musica-Antiqua-Reihe, aber auch im hellen (Spitalhof-)Saal. Als Begleiter und fallweise als Mit-Sänger steht ihr der junge Harfenist Vincent Kibildis zur Seite, der sich auf »alte« Harfen spezialisiert hat und mit seinem farbig-silbrigen, sensibel improvisierenden Saitenspiel die Singstimme stilvoll stützt und umrahmt.

Der Weg führt durch Lieder verschiedener Epochen und Sprachen, vorwiegend aus der Zeit des Frühbarock (als Monodie, Oper und »Ausdruck« erfunden wurden), von der Nacht über Morgen und Mittag zurück in die Nacht; Komponisten sind John Dowland, Giulio Caccini, Claudio Monteverdi und andere. Zugleich führt er weit in die Vergangenheit, wo schon früh das Singen zur Saitenbegleitung – etwa zur Leier – praktiziert wurde. Zwischendurch werden auch Stücke aus neuerer Zeit eingefügt, etwa von Vincent Kibildis selbst, sowie Ansagen von Gerlinde Sämann, die das Gemeinte in poetische Zeilen fasst.

Die Pausen sprechen mit

Im Dunkeln öffnen sich die verborgenen Augen, wie die Sängerin sagt: Angeregt durch die so intensiv wie nuancenreich im Sinn der historischen Aufführungspraxis Wort und Ton gestaltende, reine Stimme richten sich Blick und Gehör der Lauschenden nach innen, auf Stimmungen, Gefühle, Unausgesprochenes. Denn Gerlinde Sämann geht jedem Wort der Gedichtvertonungen auf den Grund, auch die Pausen sprechen mit, und sie hört offenbar jedes Detail – etwa einen Laut an einer bestimmten Textstelle –, hebt es heraus und verleiht ihm Aussagekraft.

Auch am Mittag geht der Blick nach innen und öffnet ihn für verborgene Wünsche, Sehnsucht und »süße Qual«. Die Dämmerung führt in eine alte Galerie mit Bildern von der Schönheit der Liebe, zu einem locker bis rau intonierten Song (»Danny Boy«) und einem barocken Abendhymnus von Purcell mit feinsten Melismen. Die nächste Nacht bricht an, man ahnt den neuen Tag in seligem Duettieren, der imaginäre Vorhang fällt – und das gebannt lauschende Publikum jubelt. Eine Zugabe schließt den Kreis. (GEA)