TÜBINGEN. Für die einen ist Johannes Oerding der neue Stern am deutschen Singer-Songwriter-Himmel. Andere sehen in ihm primär den Toy Boy von Ina Müller, der 17 Jahre älteren Sängerin, Kabarettistin und ARD-Moderatorin. Wie so oft liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen. Was man dem 31-Jährigen lassen muss: Er ist Vollblutmusiker, der nicht viel mehr braucht als eine Gitarre und eine Bühne. Prompt erweist er sich als Rampensau und macht live richtig Spaß – denn er selbst hat den auch. Das war am Donnerstagabend im Tübinger Sudhaus zu spüren, wo der für ein Open Air angekündigte Oerding wetterbedingt im stickigen Saal spielte, exakt zwei Stunden lang.
Vom ersten Moment an flogen die Funken zwischen Oerding und seinem Publikum. Weil er Gas gab, vor allem aber, weil sich der proppenvolle Saal gebärdete wie ein eigens eingeflogener Fanclub: textsicher bis zur letzten Zeile, tanzbereit und für jedes von Oerdings kumpelhaften Späßchen zu haben.
Kein Geheimtipp mehr
Spätestens seit seinem neuen, dritten Album »Für immer ab jetzt« ist er kein Geheimtipp mehr. Es stieg im Januar auf Platz vier in die deutschen Album-Charts ein und bietet, wie der Blick ins Publikum am Donnerstag zeigte, eine ebenso pärchen- wie familientaugliche Musik.
Wie es sich für Songwriter gehört, entpuppt sich jedes Oerding-Stück als eine saubere kleine Miniatur, eine Kurzgeschichte, die mit stets neuen, eigenen Farben skizziert wird. »Wo wir sind ist oben« macht gut gelaunt auf dicke Hose. »Nichts geht mehr« besingt eine bittere Trennung. Auch in »Jemanden wie dich« hadert Oerding mit einer früheren Liebe – zwischendurch gibt’s leichtfüßiges Fernweh in »Einfach nur weg«. Die meisten neuen Songs werden bereits sehr geliebt, aber bei den alten sprühten doch noch ein paar Herzchen mehr zwischen Oerding auf der Bühne und dem großen Chor zu seinen Füßen.
Oerding würzt nach
Herr Oerding mag seine Arbeit, deswegen mag man ihn. Er badet im Publikum, dirigiert und animiert. Er schraubt an seinen Songs herum und würzt nach, indem er Schnipsel fremder Hits zitiert, von Bob Marley bis zu den Backstreet Boys. Er gönnt den Jungs seiner Band ihren Applaus und erzählt den Schwaben, was er an ihrem Landstrich so schätzt (es sind übrigens die großen Fleischplatten, die man statt der in Hamburg üblicheren Fischplatten serviert bekommt). Er wirbt um Stimmen, weil er demnächst beim Bundesvision Sing Contest teilnehmen wird. Er schwitzt und hüpft und knausert auffällig mit Balladen. Neulich erst war er mit Joe Cocker auf Tournee, und man ahnt: Die großen Bühnen fand er auch ziemlich gut. (GEA)