ESSLINGEN. Ein junger Mann (Felix Jeiter) schlurft mit hängenden Schultern über die Bühne, packt seine Gitarre aus und singt. Niemand hört ihm zu, in seinem Gitarrenkoffer landet kein Geld, sondern Müll. Bis ihn eine junge Frau fragt, für wen er seine Songs geschrieben habe. Eine Geschichte, so alltäglich, dass die beiden nicht mal Namen haben. In dem Musical »Once« nach dem gleichnamigen Film des irischen Regisseurs John Carney heißen sie daher nur »Typ« und »Mädchen«. Die Trauer des einsam durch Dublin stromernden Jungen ist frei nach Heine ein altes Lied, aber wem es just passiert, dem bricht das Herz entzwei. Seine Freundin hat ihn verlassen und in New York eine Affäre begonnen. »Warum bringst du ihn nicht um?«, fragt das Mädchen, von Feline Zimmermann mit görenhaftem Charme, gekonntem Augenaufschlag und zauberhaftem Lächeln überzeugend verkörpert. »Ich kann dir helfen, ich kenne Typen, die Knarren verkaufen.« - »Meinst du das ernst?« - »Ich meine alles ernst – ich bin Tschechin«, antwortet die gebürtige Berlinerin mit perfekt einstudiertem tschechischem Akzent.
Der Plot des Stücks, das am Freitagabend im Theatersaal der Württembergischen Landesbühne in Esslingen Premiere gefeiert hat, ist schnell klar: Der junge Musiker hat seine große Liebe verloren und weint ihr mit selbstgeschriebenen Songs hinterher, hält sich mühsam über Wasser, indem er Staubsauger in der Werkstatt seines Vaters repariert, und träumt von der großen Karriere, während ihm niemand zuhört.
Verlorene Seelen
Die junge Frau hält sich genauso mühsam über Wasser, indem sie Zeitschriften auf der Straße verkauft, zieht ihre zweijährige Tochter alleine groß, denn der Vater hat sich nach Tschechien abgesetzt. Als Einzige erkennt sie das Talent des Musikers, die Kraft, die in seiner Stimme lebt. Zwei verlorene Seelen, die sich für einen kurzen Moment berühren, und aus der Berührung fließt Musik.
Das Mädchen setzt alle Hebel in Bewegung, organisiert einen Kredit, mietet ein Studio, trommelt eine Band zusammen, begleitet ihren Songwriter am Klavier, denn Pianistin ist sie nebenbei auch, und nimmt ein Demo-Tape auf, mit dem die Weltkarriere beginnen soll.
Jeder Blick schlägt Funken
Spannend ist in dieser Inszenierung nicht, was passiert, sondern wie es passiert. Während der Proben berühren sich die beiden nur durch die Musik, und doch schlägt jeder Blick Funken. Feline Zimmermann, roter Rock, blaue Bluse und ein bunter Hippie-Mantel, Felix Jeiter, Jeans und kariertes Hemd, tanzen einen Tango mit Blicken und Gesten, mit einer Mimik, die so ausdrucksstark ist, dass sie noch in der letzten Reihe die Luft vibrieren lässt, wenn sie mit jeder Pore ihre gegenseitige Zuneigung ausdrücken und zugleich spüren, dass sie keine gemeinsame Zukunft haben. Sie fühlt sich nicht frei aufgrund der Verantwortung für ihre Tochter und spürt zugleich, dass sich seine Zuneigung für sie wie eine Projektion über ein altes Bild legt, das noch nicht verblasst ist. Schließlich will er sie küssen, abrupt dreht sie den Kopf zur Seite. »Entschuldigung, ich bin gerade ein bisschen einsam«, sagt er. »Wir sind alle ein bisschen einsam«, sagt ein zufällig vorbeikommender Passant. So lapidar bringt die Autorin des Drehbuchs, Enda Walsh, das Drama unserer Zeit auf den Punkt.
Die beiden Hauptfiguren sind genau wie alle Schauspieler an diesem Abend echte Multitalente. Sie spielen auf höchstem Niveau, mit einer variantenreichen Intensität, die jede Gefühlsregung spüren lässt, und sie singen, tanzen und musizieren auf einem erstaunlich hohen Niveau. Irische und tschechische Folklore lassen die Welt des Straßenmusikers und der Migrantin lebendig werden, die Songtexte und Melodien bringen das Gefühl der Verlorenheit und der hoffnungslosen Sehnsucht perfekt zum Ausdruck. Andreas Kloos hat eine Inszenierung geschaffen, die mit starken Bildern und präzisem Rhythmus Handlung und Gefühle lebendig werden lässt.
Ambivalente Seelenzustände
Am Ende steht die Ex-Freundin des Musikers hinter einem halbdurchsichtigen Vorhang und lispelt ihm voller Sehnsucht zu, ganz nah und ganz fern zugleich. Das Schwebende und Ambivalente unserer Seelenzustände fängt der Theaterabend in solchen Bildern immer wieder gekonnt ein und weckt damit das Lied, das bekanntlich in allen Dingen schläft. (GEA)