Überreich bestückt mit den stets passenden Liedern der damaligen Zeit zeigt der Abend die Parallelen zwischen 1920 und 2020 auf: die zunehmende Kluft zwischen Arm und Reich, die Amüsierwut, den Rechtsruck. Selbst einen neuen Bahnhof für 10 Milliarden Mark haben sie damals in Stuttgart gebaut. Vor einem Panorama der Stadt erfahren wir alles über OB Karl Lautenschlager oder den »undeutschen Stil« der Weißenhof-Siedlung, über Kaufhaus Schocken und Hotel Silber. Unzählige Kostüme zeigen den Jugendstil der Reichen und das Elend der Armen.
Manfred Langners Revue ist reich, rasant, detailgenau recherchiert, sie ist vor allem virtuos geschrieben und wird im Verlauf des Abends immer noch frecher; zuweilen schlägt die Sarkasmus-Skala bis kurz vor Böhmermann aus. Die von Dirigent Horst Maria Merz superb zusammengestellten Schlager-Medleys wechseln sich ab mit nachdenklichen, scharfen Liedern von Kurt Weill oder Hanns Eisler, mit Texten von Kurt Tucholsky und Bertolt Brecht, mit Tonfilm-Schlagern und aufmüpfigen Operettenliedern.
Dazwischen sind Spielszenen eingestreut, zum Beispiel über Langners einstigen Intendanten-Vorgänger Claudius Kraushaar oder eine schreiend komische, Mel-Brooks-würdige Hitler-Parodie. Besonders schön ist der Moment, wo der Kulturprüfer die Hitler- und Goebbels-Zitate von damals für Auszüge aus seinem eigenen Parteiprogramm hält.
Dem großartigen Ensemble ist die kabarettistische Hochgeschwindigkeit des Abends in die Adern übergegangen, das Salonorchester spielt wunderbar. So brillant, so aktuell, so unheimlich war schon lange keine Revue mehr.
Weitere Aufführungen: fast täglich bis 4. Februar. (GEA)