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Ein Mann räumt auf: »Der Tatortreiniger« an der Reutlinger Tonne

»Der Tatortreiniger« ist auch auf der Bühne ein Hit. Das Reutlinger Tonne-Theater zeigt vier Folgen der Serie voller Lebensweisheit, Komik und Schrecken.

Seltsame Tätigkeit mit seltsamen Begegnungen: David Liske (links) und Chrysi Taoussanis in »Der Tatortreiniger«.
Seltsame Tätigkeit mit seltsamen Begegnungen: David Liske (links) und Chrysi Taoussanis in »Der Tatortreiniger«. Foto: Beate Armbruster
Seltsame Tätigkeit mit seltsamen Begegnungen: David Liske (links) und Chrysi Taoussanis in »Der Tatortreiniger«.
Foto: Beate Armbruster

REUTLINGEN. »Der Tatortreiniger« war eine der Fernsehsensationen der jüngeren Zeit. Über sieben Staffeln und 31 Episoden hinweg brillierte Schauspieler Bjarne Mädel in der Comedy-Serie des NDR, von 2011 bis 2018. Seither taucht »Schotty«, der putzende Vollprofi mit der pragmatischen Einstellung und den schicksalhaften Begegnungen, immer wieder im Theater auf.

Nun ist er in der Reutlinger Tonne angekommen, und es zeigt sich auch dort: An Bjarne Mädel gebunden ist der Erfolg der Figur durchaus nicht. Die Dialoge, die Ingrid Lausund, ehemals Hausautorin am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg, für den »Tatortreiniger« schrieb, sind so knackig pointiert, so höchstwahrscheinlich und absurd, dass sie ihre Wirkung auch in anderer Besetzung entfalten.

Skurriles Gesellschaftsbild

Ingrid Lausund schrieb für die Serie unter dem Pseudonym Mizzi Meyer; alle Folgen, die sie verfasste, sind fürs Theater verfügbar. Die Tonne stellte vier Episoden des »Tatortreiniger« zusammen – bekannte, weniger bekannte, solche, die dem Publikum Lachtränen in die Augen treiben, solche, die es nachdenklich stimmen. Und zuletzt eine, die es bei aller Komik auch ein wenig das angemessene Grauen lehrt.

Der »Tatortreiniger« Heiko »Schotty« Schotte ist einer, der Wohnungen reinigt, in denen sich Gewaltsames zutrug. Das Blut an den Wänden bleibt in der Tonne der Vorstellung überlassen. Schotty tritt auf, pinselt, kratzt, weiß, mit welch chemischer Verbindung man welchen Schmutz schafft, ist ganz der Experte. Und setzt sich in der einen oder anderen Mordwohnung auch gerne mal aufs Sofa, um sich ein Spiel seines liebsten Fußballvereins anzusehen.

In den Unterhosen eines toten Mannes: Chrysi Taoussanis, David Liske.
In den Unterhosen eines toten Mannes: Chrysi Taoussanis, David Liske. Foto: Tonne / Armbruster
In den Unterhosen eines toten Mannes: Chrysi Taoussanis, David Liske.
Foto: Tonne / Armbruster

Und immerzu trifft er am Tatort auf seltsame Leute, mit denen er seltsame Gespräche führt. Auf wunderbar indirekte Weise zeichnet die Serie so ein Porträt der deutschen Gesellschaft – denn Schotty, der Vollblutprolet, begegnet Menschen aus den unterschiedlichsten Schichten. Im Theater Tonne sind sie sämtlich weiblich, sodass David Liske als Tatortreiniger gewissermaßen auch zum Fachmann wird für Frauen unterschiedlichsten Temperamentes in unverschuldeten Tötungszusammenhängen. Und Chrysi Taoussanis zur Fachfrau in der Darstellung solcher Figuren.

Ein Bett, ein Koffer, Kartons

Sibylle Schulze hat die Bühne schlicht und wandelbar gestaltet. Mal wird ein Bett gebraucht, mal ein Koffer, mal ein paar Kartons. Man hört Stimmen zu Beginn jeder Episode, sieht Techniker, die umherlaufen: Gespielt wird in Enrico Urbaneks Inszenierung so, als seien Dreharbeiten für eine neue Folge im Gange. Die Umbauten werden zum Teil des Spiels.

Zuerst ist da das Zimmer mit Bett. Im Hintergrund durchschwimmen Fische stoisch ein Aquarium, auf einem Mauervorsprung steht Hochprozentiges. Und während Schotty schon am Putzen ist, kommt eine Dame zur Tür hereinspaziert, die sich später als käuflich zu erkennen gibt, zunächst einmal aber sehr erschrocken ist. Man lernt hier, dass Prostituierte, in eigenverantwortlicher Tätigkeit, auch nur Menschen sind, die heimgesucht werden von Currywürsten, Waschmaschinen, Bahnschaffnern und anderen Unbilden. Ins Geschäft kommen Schotty und die käufliche Dame nicht – obwohl er ja eigentlich gerne möchte, sich zu ihrem Entsetzen die seltsame Reizwäsche des Verstorbenen überzieht. »Die meisten wollen Domina, aber ich bin da nicht festgelegt«, sagt sie. Er will ihr nicht glauben. »Leck mir den Stiefel und wag es nicht, mich dabei anzuschauen«, erwidert sie, allerliebst.

Saubermachen im braunen Kellergewölbe: David Liske, Chrysi Taoussanis.
Saubermachen im braunen Kellergewölbe: David Liske, Chrysi Taoussanis. Foto: Tonne / Armbruster
Saubermachen im braunen Kellergewölbe: David Liske, Chrysi Taoussanis.
Foto: Tonne / Armbruster

»Ganz normale Jobs« hieß diese Politfolge des Tatortreinigers. »Das freie Wochenende« heißt die zweite von der Tonne erwählte, ausgestrahlt in der fünften Staffel der Fernsehserie. Hier trifft Schotty auf eine Frau, die verwandt war mit dem Mann, der gemeuchelt wurde, und sich außerdem von allen Seiten mit Arbeit und Verantwortung überhäufen lässt. Der clevere Tatortreiniger hilft dieser Frau – und wird in der nächsten Folge von seiner eigenen fiesen Vergangenheit eingeholt. Meldet sich der tote Obdachlose, dessen Spuren er beseitigen soll, doch mittels eines Mediums aus dem Jenseits und gibt sich als alter Klassenkamerad zu erkennen, der von Schotty einst böse gepiesackt wurde.

Im braunen Keller

Ganz zuletzt verschlägt es den Tatortreiniger in einen finsteren Keller, der vollgepackt ist mit Nazi-Devotionalien. Und in dem ihm eine Dame mit besonderem Geschichtsbild begegnet: Chrysi Taoussanis spielt die aalglatte Irre, die in all ihrer Alice-Weidel-haftigkeit einen barschen Hitlergruß ins Telefon bellt, so fabelhaft wie die blöde Bomberjacke, die dann erscheint und bei jedem zweiten Satz »Deutschland!« sabbert. David Liske indes lehnt sich als Schotty zurück, setzt sich ein schräges Lächeln auf, ist jeder Situation mehr oder weniger gewachsen, verlässt sich immer auf seine Bauernschläue – und ruft in diesem Fall die Müllabfuhr. (GEA)