MUSWELL HILL. »Lola« und »You Really Got Me« - das sind Songs, an die man sich erinnert. »Waterloo Sunset« und »Days« konkurrieren hart mit Stücken von Paul McCartney oder Brian Wilson um den Rang des schönsten Popsongs der 1960er-Jahre. Ray Davies schrieb sie. Nicht wenige halten ihn für das Genie der britischen Rockmusik. An diesem Freitag feiert er seinen 80. Geburtstag.
Ray Davies' Vorfahren stammten aus Wales und Irland; sein Vater arbeitete als Schlachter auf einem Viehmarkt nahe dem Londoner Bahnhof King’s Cross. Annie Davies brachte sechs Mädchen zur Welt, ehe 1944 Ray und 1947 Dave, der Gitarrist der Kinks, folgten. Der britische Musikjournalist Johnny Rogan beschreibt das Leben der Familie Davies im britischen Backstein-Reihenhaus, Denmark Terrace No. 6 in Fortis Green, Muswell Hill, sehr anschaulich: Dort gingen die Mitglieder einer Großfamilie ein und aus, dort wurde gefeiert und musiziert. Viele der Charaktere, die Ray Davies in seinen Songs porträtierte, gehen auf das Umfeld der Familie in diesen Jahren zurück. Seine erste Gitarre erhielt Ray Davies als Geschenk von seiner Schwester Rene – sie starb 1957 an einem Herzinfarkt, während sie eine Veranstaltung in einem Londoner Tanzpalast besuchte. Mit »Come Dancing« von 1983, dem letzten großen Hit der Kinks, erinnert er an sie.
Zerrissener Charakter
Die Feindschaft der Brüder Ray und Dave Davies ist berühmt genug, führte nicht selten zu tätlichen Auseinandersetzungen auf der Bühne. Ray Davies gilt als schwieriger, zerrissener Charakter, während Dave Davies oft selbstbewusst und aggressiv auftrat. Dave unterhielt zahlreiche Affären, Ray heiratete früh, war insgesamt dreimal verheiratet, hat vier Töchter, eine von ihnen mit Chrissie Hynde, der Sängerin der US-Band The Pretenders.
Als andere britische Bands noch Stücke US-amerikanischer Vorbilder nachspielten, schrieb Ray Davies nahezu alle Songs der Kinks selbst. »You Really Got Me« katapultierte die Band 1964 an die Spitze der Hitparaden: Der harte Beat, das knallende, brutzelnde Gitarrensolo von Dave Davies nahmen Punk und Heavy Metal lange vorweg.
Bittere Gesellschaftskritik und heiterer Eskapismus
Ray Davies‘ Songs wurden zusehends melodischer, emotionaler, mitunter auch zynischer. Er betrieb bittere Gesellschaftskritik (»Dead End Street«) und heiterem Eskapismus (»Apeman«). Seine Ambition, die britische Gesellschaft in immer ausufernden Rock-Opern zu porträtieren, ließ ihn bei der Kritik zuletzt in Ungnade fallen. 1975 verlegten sich die Kinks auf Hardrock. Nach einigen sehr guten Alben begann ihr Niedergang. Aber auch auf späteren Alben finden sich immer wieder wunderbare Songs aus der Feder von Ray Davies. Seit der Auflösung der Kinks 1996 hat er fünf Solo-Alben veröffentlicht, Bücher geschrieben, mehrere Musicals auf die Bühne gebracht. Er trat auf mit der amerikanischen Independent-Band Yo La Tengo. »You Really Got Me«, ein Film des Regisseurs Julien Temple (»The Great Rock ’n’ Roll Swindle«, »Shane«), wird seit nahezu zehn Jahren angekündigt und soll nun seinen Weg in die Kinos finden. (GEA)