REUTLINGEN. Erschöpft, aber glücklich. So wirken sie am Ende von sieben Tagen Performance in Folge, die Organisatoren des Festivals »Echt jetzt!«, allen voran die Vorsitzenden des veranstaltenden Theater-Pädagogik-Zentrums Reutlingen (TPZ), Volker Schubert und Andreas Hoffmann. Sieben Tage lang hat das Festival den Stadtraum aufgewirbelt, auf Plätzen Akzente gesetzt, Neugierige angelockt, fragende Blicke provoziert, manches Gelächter erschallen lassen, erschüttert, bewegt, an Grundfragen gerührt. Das alles drei Tage in Tübingen, dann an einer langen Tafel in Kirchentellinsfurt, zuletzt drei Tage in Reutlingen.
Glück durch Regenpause
Am Freitag hatten die Organisatoren Glück. Eine Regenfront hielt exakt zur Festivalzeit von 17 bis 20 Uhr den Atem an. Es war der Tag der Künstler aus Asien mit ganz eigenen Bildern. Die Thailänderin Warattaya Chaisin, wie sie in ihrer Kerzen-Performance den Kampf gegen die Nässe mit einbezieht. Oder Boyet De Mesa von den Philippinen, der Früchte kauend seinen brutal regierenden Präsidenten bei einer Rede karikiert. Worte verwandeln sich in Schmatzlaute, Fruchtsaft färbt sein T-Shirt rot: Chaplins »Großer Diktator« trifft asiatische Performance.
Europäische und asiatische Künstler, sie sind in dieser Woche zur Familie verschmolzen. Die Gäste aus Asien fühlten sich wohl, genossen es, in der Öffentlichkeit zu performen, wie Schubert betont. auch weil das in ihrer Heimat aus politischen Gründen oft kaum möglich sei. Den TPZ-Leiter hat begeistert, dass Erwachsene, Jugendliche wie Kinder zuschauten – und mitmachten. Denn viele Performances bezogen das Publikum ein.
So auch die Gruppe Instant PIG aus Stuttgart, die am Schlusstag mit gelbgrünen Perücken über den Marktplatz wirbelt. Sie entführen Passanten zu Tänzen, geben Choreinlagen zum Besten und brechen zwischendurch mit schallendem Gezeter einen Streit vom Zaun.
Auf leisere, poetischere Weise werden Freiwillige bei Anke Zapf-Vaknin am Tübinger Tor zu Performern. Sie malt Anweisungen wie »Explore Movement« (Erkunde Bewegung) oder »Embody Sound« (Gib Klang einen Körper) mit Kreide aufs Pflaster. Zuschauer dürfen Steine werfen – wo der Stein liegen bleibt, setzt Zapf-Vaknin die entsprechende Anweisung als rätselhaftes Tanztheater um. Danach sind die Besucher dran.
Ein kraftvolles Statement legt wenig später der Aufbaukurs des TPZ im Tordurchgang hin, entwickelt in einem Workshop der Wiener Künstlerin Claudia Bühlmann. Erst stehen sie stumm da mit Kartons überm Kopf, den Blick in jede Richtung vernagelt. Dann wird aus den Kartons eine Mauer, die den Durchgang versperrt. Die Kopf-Kartons mutieren zur sichtbar gewordenen Mauer in den Köpfen, Bild für Vorurteile und Abgrenzung. Die Mauer bröckelt, ehe sie steht. Am Ende wird sie lustvoll zertrümmert.
Zufriedenheit und Erschöpfung
Frank Fierke lässt zur Freude einer Schar von Jungs noch einmal eines seiner Flugobjekte über die Wiese beim Bürgerpark schweben. Die Gruppe Zusammenspiel vom TPZ zeigt im Heimatmuseum weitere Geschichten zu Fremde, Migration und Alltagsrassismus. Die Performer von Instant PIG legen nach zwei Stunden Nonstop-Programm noch einen drauf. Dann ist Schluss, mit einem Gefühl von Zufriedenheit und Erschöpfung. Nur durch enormen ehrenamtlichen Einsatz habe man das einwöchige Festival gestemmt, betont TPZ-Vize Andreas Hoffmann. Ein Etat von 42 000 Euro mutet winzig an angesichts der Fülle der Künstler und der teils weiten Flüge, die finanziert werden mussten. Die Städte, das Institut für Auslandsbeziehungen, einige Stiftungen haben Geld gegeben – den erhofften großen Zuschuss über den Landesinnovationsfond gab’s nicht.
Wenn es weitere Festival-Ausgaben geben soll, stellte Hoffmann klar, dann müsse ein Großförderer her, der einen beträchtlichen Teil der Finanzierung absichert. Mit einem Puzzle aus kleineren Zuschussbeiträgen wie diesmal gehe das Ganze nicht noch einmal ab, prophezeit Hoffmann. (GEA)