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Duell der Königinnen: Donizettis »Maria Stuarda« am Theater Ulm

Gaetano Donizettis Schiller-Vertonung »Maria Stuarda« gehört zu den eher selten gespielten Opern. In Ulm feierte die »tragedia lirica« erfolgreich Premiere.

Maria Rosendorfsky als Elisabetta in »Maria Stuarda« von Gaetano Donizetti am Theater Ulm.
Maria Rosendorfsky als Elisabetta in »Maria Stuarda« von Gaetano Donizetti am Theater Ulm. Foto: Jochen Klenk
Maria Rosendorfsky als Elisabetta in »Maria Stuarda« von Gaetano Donizetti am Theater Ulm.
Foto: Jochen Klenk

ULM. »Fast hätte Verdi heute Donizetti ausgebremst.« Das hübsche Wortspiel von Kay Metzger sorgte für Erheiterung im Ulmer Theater, auch wenn die Hintergründe ernst waren: Der Intendant trat vor der Premiere von Gaetano Donizettis »Maria Stuarda« auf die Bühne, um mitzuteilen, dass die Show trotz Streik steigt. Verdi: in diesem Fall die Gewerkschaft, nicht Giuseppe. Etliche Kollegen, die hinter den Kulissen für reibungslose Abläufe sorgen, waren im Arbeitskampf. Metzger und weitere Vertreter aus der Führungsriege, Dramaturgen und der Generalmusikdirektor zum Beispiel, übernahmen ihre Jobs.

Szenische Aufführung trotz Streik

Zum Glück, muss man sagen, denn bei einer möglichen Notlösung in Form einer konzertanten Aufführung wäre dem Publikum einiges entgangen. Das so reduzierte wie multifunktionale Bühnenbild (Ausstattung Petra Mollérus), das mit klar konturierten Elementen und effektvollen Projektionen arbeitet, fügt der Geschichte eine weitere Deutungsebene hinzu, ohne die »Maria Stuarda« um eine wesentliche Facette ärmer geblieben wäre. Das liegt nicht an denen, die da auf der Bühne und im Orchestergraben in einer stimmigen Inszenierung (Regie: Wolf Widder) großartig Musik machten, sondern an der Vorlage. Vielschreiber Donizetti liefert 1a-Belcanto-Ware ab, nach der das Publikum zu seiner Zeit gierig verlangt hat. Aber: Die eine große Melodie, die man nie vergisst, ist nicht dabei.

Langweilig wird es während der gut zweieinhalb Stunden aber nie. Dafür steckt viel zu viel Italianità in der »tragedia lirica«, die der Komponist und sein junger Librettist Giuseppe Bardari aus ihrer Vorlage machen, Schillers Drama »Maria Stuart«. Der Plot ist schnell erzählt: Es geht um das (fiktive) Zusammentreffen der beiden Königinnen Elisabetta (alias Elisabeth) und Maria. Elisabetta herrscht über England, wohin die schottische Königin Maria vor politischen Unruhen geflohen ist. Anstatt der erhofften Unterstützung von ihrer Verwandten findet Maria jedoch Misstrauen und schließlich den Tod: Elisabetta hält die potenzielle Rivalin fast zwei Jahrzehnte lang gefangen und lässt sie schließlich hinrichten.

Dramatische Szenen: Martin Gäbler, Maryna Zubko und der Opernchor in Donizettis »Maria Stuarda« am Theater Ulm.
Dramatische Szenen: Martin Gäbler, Maryna Zubko und der Opernchor in Donizettis »Maria Stuarda« am Theater Ulm. Foto: Jochen Klenk
Dramatische Szenen: Martin Gäbler, Maryna Zubko und der Opernchor in Donizettis »Maria Stuarda« am Theater Ulm.
Foto: Jochen Klenk

Historisch gesehen geht es im Krieg der Königinnen vor allem um Macht. Das ist zu spröde, zu wenig süffig für eine Opernbühne. Ein Mann muss her. Es ist der Graf Leicester, ein Vertrauter Elisabettas, die in ihm mehr sieht als einen Berater. Doch ihr Sehnen wird nicht erhört, Leicester liebt Maria und ist auch noch so unvorsichtig, kein großes Geheimnis daraus zu machen: Er bittet Elisabetta um Gnade für Maria.

Die Oper in zwei Akten gleicht einem erbitterten Kampf über zwei Runden, der nur durch K. O.-Sieg entschieden werden kann. Für die Sängerinnen ist das, was Donizetti ihnen zumutet, Hochleistungssport, ihre Partien sind für die großen Diven seiner Zeit geschrieben, die vor allem eins wollten: brillieren. Die beiden, die die Uraufführung bestritten haben, sollen sogar das echte Leben mit der Bühne verwechselt und sich handfest in die Haare bekommen haben. Beide Partien sind virtuos und anstrengend, vom Charakter her aber durchaus unterschiedlich: Bei aller Plakativität gelingt es Donizetti, die Bilder zweier sehr individueller Frauen zu zeichnen.

Die Königin wird zur Furie

Die erste Runde eröffnet Elisabetta. Eine echte Queen, auf Schritt und Tritt begleitet von einer Fernsehkamera. Die Bilder werden wenig später überlebensgroß auf die säulenartigen Bühnenelemente, die an ein Parlament erinnern und sich ständig im Raum verschieben, projiziert: »La Regina« (die Königin) ist überall. Ihr dabei zuzusehen, wie sie Leicester auf spitzen Stilettos und im Hosenanzug – Königs tragen in Ulm das, was das heutige Königshaus auch tragen könnte – überragt und nach allen Regeln der Kunst zur Schnecke macht, ist ein großer Genuss. Maria Rosendorfsky, die wie die anderen Hauptdarsteller zum festen Ulmer Solistenensemble zählt, ist die Rolle auf den Leib geschneidert, sie lässt ihre Elisabetta zur Furie eskalieren.

Schwierige Beziehung: Joshua spink als Graf Leicester und Maria Rosendorsky als Elisabetta in »Maria Stuarda«.
Schwierige Beziehung: Joshua spink als Graf Leicester und Maria Rosendorsky als Elisabetta in »Maria Stuarda«. Foto: Jochen Klenk
Schwierige Beziehung: Joshua spink als Graf Leicester und Maria Rosendorsky als Elisabetta in »Maria Stuarda«.
Foto: Jochen Klenk

Leicester (ebenfalls herausragend: Joshua Spink) ist ein echter Sturm-und-Drang-Held im Schillerschen Sinne: edel und gut, aber manchmal etwas naiv und voreilig. Ohne es zu wollen, liefert er Maria durch seine Fürsprache ans Messer. Als sich die beiden Königinnen begegnen, spitzt sich die Lage zu, Maria bezeichnet Elisabetta in derber Wortwahl als Bastard – zu Donizettis Zeit ein Skandal, der den Erfolg der Oper von vornherein verhinderte – und dreht ihren eigenen Film: Bedeutungsschwer reißt sie die Fernsehkamera an sich und filmt ihr eigenes Gesicht. Dokumentierte Majestätsbeleidigung, Elisabetta kann jetzt gar nicht mehr anders: Sie unterschreibt Marias Todesurteil. Regie-Einfall: Während sie das tut, steht eine kleine Königin, ihr Alter Ego, neben ihr – das verletzte innere Kind?

Liebende Märtyrerin

In Runde zwei schlägt Marias große Stunde. Maryna Zubko, die schon für ihre Desdemona in der noch laufenden »Otello«-Inszenierung gefeiert wurde, überzeugt als liebende Märtyrerin. Weicher und lyrischer als Elisabetta beichtet sie ihre Sünden dem Grafen Talbot (sehr würdig und elegant: Martin Gäbler) und lässt sich in einer großen Chorszene, mit der doch noch ein Verdi-Moment im musikalischen Sinne auf die Bühne kommt, verabschieden. Das ist im Gegensatz zum ersten Akt manchmal etwas langatmig, und ja, auch sehr katholisch. Wir sind ja immerhin in Italien, und Maria ist die katholische Königin, die Gute also.

Wer am Ende triumphiert, bleibt offen. Wolf Widder findet in seiner Inszenierung ein großartiges Schlussbild dafür. Maria schreitet eine Treppe dem imaginären Hinrichtungsplatz entgegen, das riesige Bild eines Kathedralenfensters wird überlagert von der Projektion ihres lächelnden Gesichts – die Kamera hält immer drauf, »the show must go on«. Elisabetta steht, stolz und aufrecht mit ihrer Krone auf den roten Locken, am Bühnenrand und sieht zu – bis der Vorhang fällt. (GEA)