HEILBRONN. Eine durch und durch junge Produktion von Mozarts »Don Giovanni« bietet derzeit das Theater Heilbronn in Zusammenarbeit mit der Stuttgarter Musikhochschule. Hier singen und spielen junge Talente von der Opernschule; passend dazu macht die Inszenierung von Axel Vornam die Sache zu einem ganz heutigen Geschehen. In der von uns besuchten Vorstellung am Samstag war auch viel junges Publikum: Musiklehrer Wolfhard Witte hatte einen Bus voller Schülerinnen und Schüler des Reutlinger Isolde-Kurz-Gymnasiums zur Aufführung gebracht.
Um den Reutlingen-Bezug perfekt zu machen, verkörpert den amourösen Titelhelden kein anderer als Frazan Adil Kotwal, indischstämmiger Bariton und gemeinsam mit WPR-Intendant Cornelius Grube Vorstand der Reutlinger Christel-Guthörle-Stiftung. Klar, dass die Stiftungsgründer Christel und Hans Dieter Guthörle auch im Publikum saßen – zumal Kotwal nach der Vorstellung in seinen 32. Geburtstag reinfeierte.
Der Verführer lockt
Um Jugend geht es auch im Stück. Um junge Menschen, die erst noch dabei sind, sich zu finden. Lauter Paare von Verlobten: Zerlina und Masetto, Donna Anna und Don Ottavio – vor sich einen Weg, auf dem Verführer wie Don Giovanni lauern. Mit einem Württembergischen Kammerorchester Heilbronn, das unter Risto Joost mit feinnervigen Strängen dieser Suche nachspürt. Und im nervösen Flackern der Cellolinien den inneren Aufruhr der Akteure freilegt.
Regisseur Axel Vornam platziert das in einem Halbrund heutiger Ferien-Appartements. Je nach Emotionslage sind die Wände in eifersüchtig-giftgrünes Licht getaucht oder die Fenster in wollüstiges Bordellrot (Bühne: Tom Musch). Das Halbrund kesselt die Akteure ein, wirft ihre Emotionen brennspiegelartig zurück: die erotische Gier des Don Giovanni, die Rachegelüste von Donna Anna, Don Ottavio, Masetto und Donna Elvira, die ihre eigenen Begierden hinter ihrem moralischen Entrüstungsfeldzug verbergen. Es geht um die sinnenfeindliche Bürgermoral, die sich zu Mozarts Zeit gegen die Ausschweifungen des Adels durchsetzt. Nur dass die weggesperrte Lust buchstäblich durch die adretten Kleider und Röcke zu platzen scheint, wie die Kreationen von Kostümbildner Toto mit ihren Rissen und Schlitzen verraten.
Zuhälter im Kunstledermantel
Don Giovanni ist in alldem eine Zuhältertype im knielangen Kunstledermantel. Ein Mann, der sich nimmt, was er will, und nur das Genussprinzip kennt. Frazan Adil Kotwal spielt ihn großartig als Verführer auf dem Dauer-Lust-Trip. Er lässt das Komische daran aufblitzen, erschließt jedoch auch das Existenzielle und Dämonische dieser Figur, vor allem in der Begegnung mit dem steinernen Komtur am Ende. Stimmlich ist er eine Wucht, mit samtweich schnurrenden Tiefen, seidig schimmernden Höhen, ganz lockender Verführer.
Stimmlich passen muss wegen Erkältung an diesem Abend der Darsteller des Leporello, der neben Don Giovanni tragendsten Rolle. Mathias Tönges spielt den tragikomischen Diener des Lüstlings stumm, lässt sich stimmlich vom Bühnenrand aus durch Serhii Moscalchuk vertreten. Der macht seine Sache exzellent, singt knackig auf den Punkt; der Doppel-Leporello funktioniert erstaunlich gut. Zumal Tönges den Leporello, Dreh- und Angelpunkt des Geschehens, prächtig zwischen Abenteuerlust und Verzweiflung über seinen Herrn schwanken lässt.
Zwischen Wut und Begehren
Auch die anderen füllen ihre Rollen plastisch aus. Anastasia Wanek ist als Donna Elvira hin- und hergerissen zwischen ihrer Wut auf Don Giovanni und ihrem Begehren nach ihm. Was sie konturenstark und voller Dramatik in ihren Gesangspart packt. Hyerim Kim findet für den Schmerz der Donna Anna nach dem gewaltsamen Tod ihres Vaters zarteste Stimmschattierungen, lässt ihr Rachebedürfnis in gläsernen Höhen klirren. Benedikt Lutz gibt den Masetto als Eifersuchtsbündel von burlesker Komik. Während Lara Rieken als seine Braut Zerlina in graziler Anmut von der Aussicht auf erotische Abenteuer träumt.
Die darstellerisch undankbarste Rolle hat Lars Tappert hat als zaudernder Don Ottavio. Dafür bezaubert er mit traumhaften lyrischen Linien und betörendem Tenorsamt. Angemessen archaische Töne findet Junoh Lee als steinerner Komtur, der Don Giovanni die Höllenfahrt kündet.
Aufführungsinfo
Mozarts »Don Giovanni« mit dem Württembergischen Kammerorchester Heilbronn und Darstellern der Stuttgarter Opernschule ist am Theater Heilbronn noch am 23. und 27. April sowie am 9. Mai zu sehen. (GEA)
www.theater-heilbronn.de
Jung und frisch wirkt das alles, vom schauspielerischen Elan bis hin zum Funkeln der Koloraturen. Eine Aufführung zum Mitlachen, Mitfiebern, Mitfühlen. Ein Genussmensch wie Don Giovanni hätte seinen Spaß daran. (GEA)