Logo
Aktuell Oper

»Don Carlos« in Stuttgart: Auf Liebesentzug

Lotte de Beer inszeniert in Stuttgart Giuseppe Verdis »Don Carlos« als düsteres Drama mit heutigen Bezügen

Keine Freundinnen: Ksenia Dudnikova als Prinzessin Eboli (links) und Olga Busuioc als Elisabeth von Valois in Lotte de Beers Ins
Keine Freundinnen: Ksenia Dudnikova als Prinzessin Eboli (links) und Olga Busuioc als Elisabeth von Valois in Lotte de Beers Inszenierung von Giuseppe Verdis Oper »Don Carlos« an der Stuttgarter Staatsoper. Foto: Matthias Baus/StaatsOPer Stuttgart
Keine Freundinnen: Ksenia Dudnikova als Prinzessin Eboli (links) und Olga Busuioc als Elisabeth von Valois in Lotte de Beers Inszenierung von Giuseppe Verdis Oper »Don Carlos« an der Stuttgarter Staatsoper. Foto: Matthias Baus/StaatsOPer Stuttgart

STUTTGART. »Don Carlos« ohne Abstriche: Was die in Stuttgart gezeigte Fassung der Verdi-Oper anbelangt, hätte man sich kaum eine umfangreichere Version vorstellen können: Fast fünf Stunden verbrachte das Premierenpublikum am Sonntag im Opernhaus, selbst eine Szene, die aus der Pariser Urfassung von 1866/67 stammt und damals kurz vor der Uraufführung gestrichen wurde, schaffte es in den Abend, den Lotte de Beer als düsteres Ringen um Entscheidungsgewalt inszeniert hat.

Die niederländische Regisseurin lässt dabei Kirche und Staat, Masse und Individuum in einer Gesellschaft im politisch-ideologischen Ausnahmezustand sich aneinander abarbeiten. Selbst Kaiser Karl V. entsteigt am Ende seinem Grab, um die Nachwelt vor dem (Irr-)Glauben zu warnen, im Jenseits wende sich alles zum Guten.

Bemerkenswert ist nicht zuletzt die Änderung, die de Beer und Generalmusikdirektor Cornelius Meister, der an diesem Abend dirigiert, im Mittelteil vorgenommen haben: In der »Stuttgarter Fassung« der Ballett-Suite, wie sie Verdi in seiner Oper in fünf Akten vorsieht, kommt es zu einer zeitgenössischen Übermalung durch den österreichischen Komponisten Gerhard E. Winkler. Der hatte seine »Pussy-(r)-Polka« 2015 komponiert und darin auf die Vorkommnisse rund um die in Russland inhaftierte Punkrock-Band Pussy Riot Bezug genommen. Eisenketten und eine Polizeipfeife zählen zu den Instrumenten, die dabei zum Einsatz kommen.

Mangel an Menschlichkeit

De Beer verknüpft die so umgedeutete Ballett-Suite mit dem in der Oper kurz darauf folgenden Autodafé, also der Verkündung der Todesurteile gegen sogenannte Ketzer durch die Inquisition.

In der Rolle des Großinquisitors weist Falk Struckmann nicht nur einmal abgeklärt, rigide und selbstherrlich den weltlichen Herrscher Philipp II. von Spanien in die Schranken. Hoch über dessen Ehebett hängen in einer Szene die Leichen der Abgeurteilten wie ein grausiges Mobile – oder ein Damoklesschwert. Goran Juri c´ gibt den Monarchen als hohle Autorität mit menschlichen Schwächen. Aus seiner Abneigung gegenüber dem Kronprinzen Don Carlos macht er keinen Hehl. Dass die Königin Elisabeth von Valois nicht ihn, sondern den Infanten liebt, schmerzt ihn sichtlich. Auch, dass der Marquis von Posa ihm, Philipp, nicht so treu ergeben ist, wie es scheint.

Mit Herrschaftsgewalt scheint sich in diesem durchaus heutig anmutenden strammen Staatsgefüge alles erreichen zu lassen, nur nicht Vertrauen. Und Menschlichkeit. Selbst die Kinder lernen schon zu marschieren und strammzustehen. Beim Spielen tun sie es den Erwachsenen gleich und verbrennen Ketzer. Don Carlos scheint darüber und über den Verlust seiner Verlobten Elisabeth, die aus Gründen der Staatsräson Philipp heiraten muss, den Verstand zu verlieren. Als Opernheld mit Schmelz in der Stimme vermag Massimo Giordano in der Titelrolle denn auch kaum zu glänzen. Er ist vielmehr ein Abgehängter, einer, der so sehr vom Liebesentzug geprägt ist, dass er, handlungsunfähig, immer mehr in seine eigene Welt abgleitet. Und wenn er dann mal im Sinne Posas und der von Kirche und Staat Unterdrückten Stellung bezieht, tut er das so polternd und ungeschickt, dass andere ihm zu Hilfe eilen müssen.

Ungewöhnlich besetzt ist die Rolle der Prinzessin Eboli. Ksenia Dudnikova stattet sie mit einer kraftvoll-ausdrucksstarken Stimme, aber auch mit Schlagkraft aus. Wie einer Judoka gelingt es ihr, Posa aufs Kreuz zu legen, als dieser sie mit Waffengewalt in Schach zu halten versucht.

Den Hohn und Spott, den sie anfangs für Elisabeth übrighat, zahlt diese ihr später in barer Münze zurück. Elisabeth kennt in der entscheidenden Szene, in der die Eboli sich ins Kloster abgeschoben sieht, kein Pardon. Im letzten Viertel des Premierenabends fährt Olga Busuioc als Elisabeth zu Höchstform auf. Mit bestechendem Ausdruck lotet sie die Gefühlstiefen aus, die diese Rolle ihr bietet. Björn Bürger verfügt als Posa über jenen heldenmäßigen Ausdruck, den ein solches Drama braucht. Dass alle auf Französisch singen, gehört mit zu den Überraschungen des Abends.

Christof Hetzers Bühne und Kostüme setzen fast ganz auf die Dualität von Schwarz und Weiß. Smartphones kommen ebenso vor wie futuristische Uniformen und historische Gewänder. Der Staatsopernchor ist als Hofstaat, geknechtetes und zum Teil rebellierendes Volk gefordert und glänzt stimmlich, wie man das vom vielfachen »Opernchor des Jahres« kennt. Das Staatsorchester spielt unter Cornelius Meisters Leitung facettenreich, ja stellenweise brillant. (GEA)